Die ÖVP will das turbulente Jahr 2021 und Sebastian Kurz’ Rücktritt von allen politischen Ämtern nicht auf sich sitzen lassen. Das zeigt das neue “Jahrbuch für Politik”, das die Politische Akademie der Volkspartei am Freitag vorgestellt hat. Die immer schärfer werdenden Vorwürfe gegen den Ex-Kanzler im vergangenen Jahr nehmen darin viel Platz ein – mit teils scharfer Kritik an den Kurz-Gegnern. Die Herausgeber schreiben offen im Vorwort: Diese Schrift steht „ganz im Zeichen der Pandemie und des ‚Abschusses‘ des Bundeskanzlers“.

Es wird sich zeigen, ob die politische Konkurrenz einige Vorwürfe so auf sich sitzen lassen wird.

Anfeindungen umso stärker, je größer die Beliebtheit

Während Nationalratspräsident und Mitherausgeber Wolfang Sobotka (ÖVP) die Verdienste des ehemaligen Bundeskanzlers würdigt – unter dem Titel: „Veränderung schafft Hoffnung. Die Ära Kurz“ – schießt sich die Präsidentin der Politischen Akademie und ÖVP-Nationalratsabgeordnete Bettina Rausch in ihrem Leitartikel vor allem – aber nicht ausschließlich – auf die Oppositionsparteien ein. Ihr Leitartikel ist betitelt: „Polarisierung, Skandalisierung, Moralisierung. Ein schwieriges Jahr für Demokratie und Politik“.

12. März 2018: Der damalige ÖVP-Chef Sebastian Kurz (l.) legt den Vorsitz in der Politischen Akademie der ÖVP zurück und übergibt die Leitung an Bettina Rausch (r.).APA/NEUE VOLKSPARTEI

Rausch spricht von „konstruiert wirkenden Vorwürfen gegen Kurz“ und vom „Messen mit zweierlei Maß“. Sie prangert das „Rütteln an den Grundfesten von Demokratie und Rechtsstaat“ an, sowie Grenzüberschreitungen der politischen Auseinandersetzung. Auffällig sei, „dass die Anfeindungen dann am stärksten sind, wenn der Rückhalt der Angefeindeten in der Bevölkerung besonders groß ist“.

U-Ausschuss und Justiz für Anti-Kurz-Kampagne missbraucht

Für Rausch steht fest: „Die Instrumentalisierung der Justiz für parteipolitische Zwecke war ein wesentliches Element der Kampagne gegen Kurz.“ Das sei im Verlauf des Ibiza-Untersuchungsausschuss zutage getreten, der über die Hintergründe der Herstellung des Ibiza-Videos kaum neue Erkenntnisse brachte. „Obwohl der eigentliche Zweck eines Untersuchungsausschusses die Aufklärung politischer Verantwortung sein sollte, stand für die vereinigte Opposition das Ergebnis schon von Anfang an fest: Kurz ist schuld, Kurz muss weg“, schreibt Bettina Rausch.

Der U-Ausschuss habe allein zwei Zwecken gedient: Zum einen sei es darum gegangen „Auskunftspersonen ‚vorzuführen‘, als wären sie Beschuldigte vor einem Tribunal“. Zum anderen wollte man „Informationen aus staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren und anderen Quellen, die aus guten – rechtsstaatlichen – Gründen nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind, an ebendiese Öffentlichkeit zu zerren.“

U-Ausschuss-Vorsitzender Wolfgang SobotkaAPA/HANS PUNZ

SPÖ und FPÖ im "auffälligen Gleichklang"

Im Fall von Kurz sei „der auffällige Gleichklang von Links und Rechts“ bemerkenswert gewesen. „Unter dem Motto ‚Kurz muss weg‘ haben sich SPÖ und FPÖ gleichermaßen wiedergefunden“.

Kurz sei aber nicht der einzige Leidtragende gewesen: „Monatelang wurde dem Nationalpräsidenten vorgehalten, zur Leitung des Untersuchungsausschusses ungeeignet zu sein, weil Ermittlungen gegen ihn liefen. Die Ermittlungen sind inzwischen eingestellt, was aber nur mediale Randnotizen wert war, Entschuldigungen seitens politischer Mitbewerber für die ungerechtfertigten Vorwürfe blieben aus.“

Justiz hat nicht mit aller Vehemenz den Rechtsstaat verteidigt

Einen Seitenhieb auf die Justiz erlaubt sich Rauch aber doch: „Es ist der Justiz nicht vorzuwerfen, dass sie Ermittlungen anstellt, wenn Verdachtsmomente angezeigt werden. Sie muss sich aber den Vorwurf gefallen lassen, den Vorverurteilungen nicht mit aller Vehemenz entgegenzutreten und den Rechtsstaat zu verteidigen“. Bei der Unschuldsvermutung handle es schließlich auch um einen Grundsatz in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

In scharfem Tonfall erklärt sie: „Was an den konstruiert wirkenden Vorwürfen gegen Kurz dran ist, bleibt zu Ende des Jahres noch offen – die Staatsanwaltschaft konnte sich bis zu Redaktionsschluss nicht zu einer Einstellung der Ermittlungen durchringen, aber auch keine rechtlich überzeugenden Argumente vorbringen.“

"Bild erwiesener Schuld" wird künstlich erzeugt

Ob SPÖ und FPÖ auf diese Vorwürfe reagieren oder sie schlicht ignorieren werden, wird sich zeigen. Bettina Rausch ortet in Österreich auf jeden Fall eine Vorgangsweise gegen politische Konkurrenten, die teilweise auch in anderen Ländern stattfinde: „Es kommt zu einer Anzeige – gerne auch anonym – die Justiz ermittelt, wie es ihr Job ist, die Medien berichten, meist aufgeregt hechelnd, dass die Justiz ermittle, Details aus den Ermittlungen gelangen an die Öffentlichkeit – tendenziös und ohne Einordung in Gesamtzusammenhänge.“

Am Ende entstehe so das Bild erwiesener Schuld, „bevor das Ermittlungsverfahrungen überhaupt abgeschlossen ist, geschweige denn ein unabhängiges Gericht Recht gesprochen hat.“