ÖVP 25 Prozent, FPÖ 26 Prozent, SPÖ 21 Prozent – die aktuellen Umfragen deuten auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hin. Genau eine Gruppe kann den Wahlausgang jetzt noch maßgeblich beeinflussen: die ehemaligen Sebastian Kurz-Wähler.

Seit dem Ende der Ära Kurz kämpft die Volkspartei darum, diese Wähler zu halten, die den jungen Ex-Kanzler wegen seines klaren Kurses und seiner kompromisslosen Ansagen geschätzt haben. Viele dieser Anhänger wechselten nach seinem Rücktritt zur FPÖ, enttäuscht über die Neuausrichtung der ÖVP unter Karl Nehammer. Besonders schwer wiegt für die ÖVP, dass sie damit genau die Stammwählerschaft verlor, die den Erfolg von Kurz überhaupt erst möglich gemacht hatte.

Nach dem Abgang von Sebastian Kurz ist die Volkspartei tief gefallen

Ein Blick zurück: Die beiden vergangenen Wahlsiege der ÖVP in den Jahren 2017 und 2019 mit ihrem Spitzenkandidaten Sebastian Kurz waren in großen Teilen auf Stimmengewinne aus dem freiheitlichen Lager zurückzuführen. 2017 konnte die ÖVP mit Kurz laut Wählerstromanalyse (Sora/ORF) 168.000 frühere FPÖ-Wähler auf die türkise Seite ziehen. Bei der Neuwahl 2019 kamen noch einmal 258.000 Wähler hinzu.

Viele Parteistrategen stellen sich nun die Frage, wo diese mehr als 420.000 „Kurz-Wähler“ am Sonntag ihr Kreuz machen werden, zumal bei den Wahlen 2017 und 2019 Sebastian Kurz als Spitzenkandidat bei den Wählern als das wichtigste Wahlmotiv gegolten hat, die ÖVP zu wählen, wie eine Auswertung von Foresight (vormals Sora) ergab. Nun fehlt der ÖVP dieses Wahlmotiv.

Karl Nehammer führte die ÖVP immer mehr in die Mitte.APA/GEORG HOCHMUTH

Der direkte Wählerstrom zwischen ÖVP und FPÖ ist daher das größte Problem der Türkisen und jeder zurückgewonnene Ex-Kurz-Wähler wäre ein doppelter Gewinn, weil er der FPÖ gleichzeitig eine entscheidende Stimme nimmt.

Die ÖVP setzt im aktuellen Wahlkampf voll auf die sogenannten „Kanzlerfrage“. Während Kickl in den Umfragen zu Themen wie Migration oder Asyl punktet, soll die Bevölkerung Karl Nehammer als den stabileren und regierungsfähigen Kandidaten sehen. Nehammer versucht, die Ex-Kurz-Wähler an das zu erinnern, was sie ursprünglich mit der ÖVP verband – Stabilität, Sicherheit und eine klare Führung.

Werden keine Regierungspartner: Kanzler Karl Nehammer und FPÖ-Chef Herbert Kickl.APA/ROBERT JAEGER

Kompliziert ist dieser Kampf nun allerdings insofern, als ÖVP-Spitzenkandidat Karl Nehammer keine klare mitte-rechts- Politik mehr verfolgt, wie dies einst sein Vorgänger Kurz tat. Die ÖVP wurde in den vergangenen drei Jahren unter Karl Nehammer immer mehr in die Mitte geführt. Mit dieser neuen Mitte-Positionierung und der Abgrenzung zur FPÖ wird im Wahlkampf offensiv von Nehammer und der ÖVP geworben. Mit einer gemäßigteren Zuwanderungspolitik als Kurz und einer Annäherung an die SPÖ versucht die ÖVP, mehr Breite zu gewinnen. Ob diese Neupositionierung näher nach links auch bei den früheren FPÖ-Wählern und späteren Kurz-Wählern Anklang findet, wird sich am Sonntag zeigen.

Gelingt es Nehammer, diese Schlüsselfraktion zu mobilisieren, könnte er trotz der starken Konkurrenz noch Platz eins zurückerobern. Scheitert er, wird die FPÖ zur stärksten Kraft im Land – und die Volkspartei das politische Erbe von Kurz endgültig verlieren.