Für den Bezirksobmann der ÖVP Donaustadt steht fest: “Alle unsere Prognosen zur Verkehrsentwicklung zeigen, dass dieser Tunnel dringend notwendig sein wird.” Er sei auch technisch durchführbar, wie die Fachleute festgestellt hätten. Im Interesse der Bürger von Donaustadt wäre es “ebenso undemokratisch wie unzweckmäßig, das Tunnelprojekt weiter zu verschleppen.”

Das war im September 1993. Der Bezirksobmann hieß damals Karl Regner und Wiens Bürgermeister Helmut Zilk. Der Streit um den Bau der Lobauautobahn ist älter als sämtliche Aktivisten von heute.

Dezember 1999: 120 Teilnehmer kommen zum Protest der Grünen gegen den Bau der Nord-Ost-UmfahrungAPA/Günter Artinger

Am meisten Widerstand regt sich seither von den Grünen und von NGOs. Zu Global 2000, WWF und Greenpeace mengten sich in der Zwischenzeit Extinction Rebellion, Fridays For Future, die Bürgerinitiative Rettet die Lobau und System Change not Climate Change hinzu. Pikant ist aber eines: Es war ausgerechnet Ex-Vizebürgermeisterin und Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou (Grüne), die das Projekt in seiner jetzigen Form eingeleitet hat.

Widerstand von den Grünen seit den 1990er Jahren

Erste Überlegungen für eine Straße durch die Lobau reichen bis in die 1970er Jahre zurück. Dass die Grünen keine Freunde des Projekts sind, zeigten sie bereits in den 1990er Jahren im Wiener Landtag. So meinte die stellvertretende Grüne Klubobfrau Susanne Jerusalem, die Probleme von 200.000 Einpendlern könnten nicht durch zusätzlichen Straßenbau gelöst werden.

Freda Meissner-Blau bei der Pressekonferenz "Retten wir die Lobau" am 5. Dezember 2003APA/Günter R. Artinger

In Pressekonferenzen protestieren die Grünen danach gegen das Vorhaben. So attackierten etwa im März 1999 der Klubobmann der Wiener Grünen, Christoph Chorherr, und Landessprecherin Eva Glawischnig die “Konsequenzen der Straßenbaupläne von Häupl, Pröll & Co.” Fazit: “Dieses Straßenpaket von SPÖ und ÖVP hat schwerwiegende Folgen für Umwelt, Verkehrssystem und für die Wirtschaft.”

Im Rückblick war das nur ein erstes Vorgeplänkel gegen das, was wenig später folgen sollte.

Der Bau sollte spätestens 2018 fertig sein

Der eigentliche Startschuss fiel vor 20 Jahren. Damals wurde der Bau der Nordostumfahrung S1 zwischen dem Knoten Schwechat und dem Knoten Süßenbrunn in die Wege geleitet. Der Schnellstraßenbetreiber Asfinag rechnete mit Kosten von 1,9 Milliarden Euro für den 19 Kilometer langen Straßenbau. Drei Jahre später beschlossen die Stadt Wien und Infrastrukturminister Hubert Gorbach (FPÖ) den Bau, der auch einen 8,2 Kilometer langen Tunnel durch den Nationalpark Donau-Auen vorsieht.

Die Asfinag rechnete mit einer Baugenehmigung bis 2011. Bis allerspätestens 2018 sollte die S1 fertig gebaut sein. Eine – höflich formuliert – optimistische Einschätzung.

Acht-wöchiger Protest von Global 2000

Der Proteststurm will seither kein Ende nehmen. Aktivisten von Global 2000 besetzen im Jahr 2006 acht Wochen lang die Lobau. Heute ist die spätere politische Geschäftsführerin der Umweltschutzorganisation Leonore Gewessler selbst grüne Klimaministerin, um in dieser neuen Funktion ihren Widerstand gegen das Projekt fortzusetzen.

Zwischen den Lobau-Aktivisten und den Grünen herrschte immer reger Austausch: Grüner Bundessprecher Alexander Van der Bellen und Vizechefin Eva Glawischnig besuchten sie etwa am 28.November 2006.APA/HERBERT PFARRHOFER.

Keiner kann mehr beziffern, wie viele Demonstrationen es in der Zwischenzeit gegeben hat. “Projekt von vorgestern”, “Musterbeispiel fehlgeleiteter und schädlicher Raumentwicklung”, “rückständige Verkehrspolitik”, “umweltschädlichstes Autobahnvorhaben”: So lauten die Vorwürfe der Kritiker. Sie fürchten um das Wohl des Nationalparks. Der unterirdische Wasserspeicher könnte durch den Tunnel verunreinigt werden und der Autoverkehr sogar steigen. Überhaupt wollen sie die Notwendigkeit des Autobahnbaus nicht einsehen. An der Kostenrechnung der Asfinag zweifeln sie ebenfalls: Am Ende werde alles deutlich teurer werden.

Jahrelange Bewilligungsverfahren, sofortige Einsprüche

Seither zogen die Gegner alle Register, hinzu kamen die langen Wartezeiten auf Entscheidungen der Gerichte. Es folgte ein ewiges Hin und Her von Bewilligungen und Einsprüchen, begleitet von Gutachten und Gegengutachten, sowie Besetzungen und Räumungen.

Asfinag-Vorstand Alois Schedl zweifelte mitunter, ob das langersehnte Bauprojekt je fertig gestellt werden wird.APA/HANS KLAUS TECHT

Das Bundesverwaltungsgericht brauchte sechs Jahre bis es 2015, nach einer Umweltverträglichkeitsprüfung, den Bau genehmigte. Umgehend folgt der Einspruch der Gegner, bis 2018 das Urteil in zweiter Instanz bestätigt wurde. Nur leider fehlten noch die Genehmigungen für Wasser- und Naturschutzrecht. Diese erfolgen schließlich im August 2020. Jüngst versuchte nun Klimaschutz-Ministerin Gewessler den Bau kurz vor dem Start doch noch einmal zu verhindern – der eXXpress berichtete.

Asfinag-Vorstand Alois Schedl: "So werden wir nie fertig!"

Das Projekt hat bereits 50 Millionen Euro verschlungen. Wegen der ewigen Wartezeiten auf Genehmigungen samt Einsprüchen beklagte Asfinag-Vorstand Alois Schedl: “So werden wir nie fertig!” Sollte der Bau nun gestoppt werden, würde er wohl Recht behalten, denn bei einem neuen Bauplan müsste man die gesamte Genehmigungsprozedur erneuert durchlaufen. Für die Stadt Wien kommt das aber nicht mehr in Frage.

Die Seestadt Aspern ist bereits über öffentliche Verkehrsmittel angeschlossen, braucht aber auch eine Anschlussstraße. Immerhin sollen hier bis zum Jahr 2030 etwa 60.000 Menschen wohnen. So viele Einwohner hat St. Pölten. Darüber hinaus soll die Schnellstraße das Verkehrsaufkommen innerhalb der Wohngebiete reduzieren, sowie Arbeitsplätze schaffen und mehr Lebensqualität.