Provinzräte und Parlamentarier bestätigten die Einnahme der Stadt Aybak. Die Islamisten hätten die wichtigsten Einrichtungen der Regierung in der Stadt eingenommen, darunter das Polizeihauptquartier, den Gouverneurssitz und das Gefängnis der Stadt. Die Provinzrätin Machboba Rahmat sagte, die Sicherheitskräfte hätten die Stadt mit ihren geschätzt 120.000 Einwohnern einfach verlassen. Davor hätten sie das Verteidigungsministerium um Luftangriffe gebeten, aber dieses habe nicht auf sie gehört. “Sie dachten, wenn die Regierung ihnen keine Aufmerksamkeit schenkt, werden sie ihr Leben nicht für die Regierung riskieren”, so Rahmat. Die Sicherheitskräfte seien auf eine Anhöhe am Rande der Stadt geflohen.

Damit haben die Islamisten binnen vier Tagen sechs von 34 Provinzhauptstädten eingenommen. Am Sonntag fiel die wichtige Stadt Kunduz an sie. Laut einem Taliban-Sprecher rücken die Kämpfer zudem auf Mazar-i-Sharif vor, der größten Stadt im Norden Afghanistans.

In den afghanischen Provinzen Kandahar, Khost and Pakria wurden nach UNICEF-Angaben in den vergangenen drei Tagen mindestens 27 Kinder getötet. 136 weitere Minderjährige seien verletzt worden, teilte das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen am Montag mit. “UNICEF ist schockiert von der rapiden Eskalation schwerer Verstöße gegen Kinder”, erklärte der für Afghanistan zuständige UNICEF-Repräsentant Hervé Ludovic De Lys. “Die Gräueltaten werden von Tag zu Tag schlimmer.

Zahl der Todesopfer seit Abzug der Truppen dramatisch gestiegen

“Ich bin wegen der sich verschlechternden Situation extrem besorgt”, sagte UNO-Nothilfekoordinator Martin Griffiths in einer Stellungnahme des UNO-Nothilfebüros in Genf. Allein im Juli seien mehr als tausend Menschen durch Angriffe in den Konfliktprovinzen Helmand, Kandahar und Herat getötet oder verletzt worden. Griffiths unterstützte die UNO-Forderung nach einem Waffenstillstand. Er forderte zudem Sicherheit und Bewegungsfreiheit für Hilfsorganisationen in dem Land.

Auch die Zahl der Binnenvertriebenen (Internally Displaced People/IDPs) steigt seit Anfang Mai deutlich an. Bis Ende Juli verließen annähernd eine Viertelmillion Menschen in dem Land ihre Dörfer und Städte. Die UNO-Agentur zur Koordinierung humanitärer Hilfe (OCHA) bezifferte die Zahl am Montag auf mehr als 244.000 – mehr als vier Mal so viel wie im gleichen Zeitraum des Vorjahrs. Der Großteil der Binnenflüchtlinge floh demnach aus Provinzen im Nordosten und Osten vor bewaffneten Kämpfen.

Insgesamt leben in Afghanistan etwa 37 Millionen Menschen. Nach Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) verlassen jede Woche etwa 30.000 Afghanen ihr Land. Die Schätzungen basieren auf Umfragen bei Migranten und Schleppern.

Seit dem Beginn des Abzugs der internationalen Truppen aus Afghanistan sind auch die Zahlen der Todesopfer und Verletzten in der Zivilbevölkerung deutlich gestiegen. Die UNO warnt, dass 2021 zum Jahr mit der höchsten Zahl an zivilen Opfern werden könnte.

Nachdem die Taliban am Freitag laut eigenen Angaben den Sprecher der Regierung in Kabul ermordet hatten, töteten sie mit dem Radiojournalisten Tufan Omar am Sonntag in Kabul offenbar erneut einen wichtigen Medienvertreter. In der südlichen Provinz Helmand sei zudem ein Lokaljournalist von den Taliban entführt worden. Ein Taliban-Sprecher sagte am Montag, ihm lägen zu beiden Fällen keine Informationen vor.

Medienvertreter sehen sich in Afghanistan immer wieder Angriffen ausgesetzt. Nach Angaben der Bürgerrechtsgruppe NAI, deren Mitglied der getötete Radiomanager war, wurden allein in diesem Jahr 30 Journalisten und Medienmitarbeiter von militanten Gruppen getötet, verletzt oder verschleppt. Mehrere afghanische Nachrichtenanbieter haben die USA aufgefordert, afghanischen Medienschaffenden Zuflucht zu geben.