Die Aufnahme ehemaliger afghanischer Ortskräfte wird zurzeit vielerorts gefordert. Dr. Thomas Sarholz, Oberst a.D. bei der Bundeswehr, hält hingegen nichts von undifferenzierter Hilfe: „Was die Ortskräfte angeht, so habe ich einen anderen Zugang als der, der üblicherweise in den Medien verbreitet wird.“ Seine Beobachtung: „Dass gerade diese Ortskräfte jetzt sämtlich zu uns kommen wollen, überrascht mich nicht; hatten sie doch einen recht genauen Einblick über unseren Lebensstandard erlangt. Innerlich verachten uns diese Menschen, was sie aus nachzuvollziehenden Gründen natürlich nie zugeben werden. Sie wollen ja etwas erreichen: den Wohlstandsmagneten Deutschland.“

18. Juli 2006: Ein Soldat der Bundeswehr sitzt in einem Hubschrauber auf dem Weg nach Faizabad in NordafghanistanAPA/AFP/POOL/MICHAEL HANSCHKE

"Selbstlosigkeit war das Letzte, was diese Leute angetrieben hat, um für uns zu arbeiten."

Sarholz wurde selbst als Soldat der Bundeswehr nach Afghanistan zum Einsatz geschickt: In den Jahren 2005 und 2006 war er Kommandant von Camp Warehouse in Kabul, des damals größten internationalen Camps mit ungefähr 2400 Soldaten aus mehr als 20 Nationen. In dieser Funktion hatte er auch Ortskräfte. „Diese jungen Männer kannten haargenau die Situation in der sie umgebenden Gesellschaft. Selbstlosigkeit war das Letzte, was diese Leute angetrieben hat, um für uns zu arbeiten. Diese romantisch-idealisierenden Vorstellungen sind dort unbekannt beziehungsweise stoßen auf völliges Unverständnis. Das Leben ist viel zu hart, um sich mit derartigem Wohlstandsgefasel zu beschäftigen“, unterstrich er in einem Leserbrief an die deutsche Tageszeitung FAZ.

Ein afghanischer Bub mit einer UNICEF-Schultasche fährt auf seinem Fahrrad an deutschen Soldaten vorbeiAPA/AFP/JOHANNES EISELE

Die Ortskräfte wurden für afghanische Verhältnisse fürstlich entlohnt und Sarholz zufolge auch gut behandelt. Sie nahmen wie selbstverständlich an der „ausgezeichneten“ Mittagsverpflegung teil. „Von den Soldaten des deutschen Kontingents wurden sie in der Regel bei Kontingentwechseln mit Kleidung, Schuhen und so weiter beschenkt. Ich habe Dutzende sogenannte Mitnahmebescheinigungen unterschrieben, damit ihnen diese Geschenke bei der Kontrolle an der Wache nicht abgenommen wurden.“

12. November 2012: Soldaten der Bundeswehr stehen neben einem Frachtflugzeug auf dem internationalen Flughafen in KabulAPA/AFP/POOL/OLIVER LANG

Einige Ortskräfte mussten Informationen liefern – auch an die Taliban, die genau Bescheid wussten

Für den Oberst a.D. steht fest: „Es hat sich also gelohnt, für uns zu arbeiten.“ Dies blieb dem Umfeld klarerweise nicht verborgen. Was man dabei wissen müsse: „Ein Afghane definiert sich ausschließlich über seine Familien- beziehungsweise Stammeszugehörigkeit, Individualismus ist unbekannt.“ Sofern sie zu starken Clans gehörten, „haben auch diese davon profitiert und schützten diese Leute.“

Deutsche Soldaten sitzen im Außenposten Nord bei Baghlan zusammenAPA/AFP/JOHANNES EISELE

Sofern es sich bei den Ortskräften um Angehörige von schwächeren Gruppen handelte, profitieren ebenfalls andere Einheimische von ihrem Einsatz. Sogar die Taliban konnten daraus Gewinn ziehen. Denn hier „waren Schutzgeldzahlungen fällig, um nicht umgebracht zu werden. Darüber hinaus waren Informationen zu liefern. Die Taliban oder ähnliche Gruppierungen waren somit bis ins Detail über unsere Zahl, Ausrüstung, gegebenenfalls sogar über unsere Absichten informiert.“

"Es mag Ausnahmen geben. Nur: mir sind sie nicht begegnet."

Darauf musste auch die Bundeswehr reagieren. „Meine beiden deutschen Soldaten, die mich bei der Führung des Camps unterstützt haben, waren entsprechend instruiert und zur Vorsicht bei der Informationsweitergabe ermahnt.“

In der Nähe von Baghlan gehen Afghanen an deutschen Soldaten vorbei, die das Gelände für den Besuch eines Militärkommandeurs sichernAPA/AFP/JOHANNES EISELE

Mit Blick auf die Frage, ob es auch Ortskräfte mit mehr Achtung und weniger Verachtung für die ausländischen Truppen gab, meint Sarholzr abschließend: „Ich will nicht verkennen, dass es Ausnahmen geben mag. Nur: mir sind sie nicht begegnet. Aber vielleicht war und bin ich ja blind. Mit Letzerem befinde ich mich, wenn ich mir die Berichterstattung über den Zusammenbruch der durch die westlichen Staaten geförderten politischen Ordnung in Afghanistan betrachte, jedoch in bester Gesellschaft.“

Ein deutscher Soldat (r.) sichert während einer Patrouille eine Straße, während zwei Afghanen zusehenAPA/AFP/JOHANNES EISELE