Am deutschen Bundesverfassungsgericht hat am Mittwoch die Verhandlung über die Klage der AfD gegen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) begonnen. Die Partei wirft Merkel negative Äußerungen über die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich vor, der in Thüringen 2020 mit den Stimmen von CDU, AfD und FDP zum kurzzeitigen Ministerpräsidenten gewählt worden war. Merkel forderte dazu auf, die Wahl rückgängig zu machen und sprach von einem “schlechten Tag für die Demokratie.”

Der Prozessvertreter der AfD sagte in Karlsruhe, die Äußerungen seien ein “amtlicher Boykottaufruf” gewesen. Sie habe gegen ihre parteipolitische Neutralitätspflicht als Amtsträgerin verstoßen.

Braun betrachtet Merkels Stellungnahme als gerechtfertigt

Merkel selbst erschien am Mittwoch nicht in Karlsruhe. Für sie sprach der deutsche Kanzleramtschef Helge Braun, der die internationale Aufregung nach der Wahl in Thüringen betonte. Die französische Tageszeitung “Le Monde” habe von einem Dammbruch gesprochen, die US-Zeitung “New York Times” von einem Tabubruch in der Post-Nazizeit. Die Nachrichten hätten die Kanzlerin im Flugzeug nach Südafrika erreicht. Der internationale Ruf der Bundesrepublik, aber auch die Stabilität der Bundesregierung seien gefährdet gewesen. Merkel habe Stellung nehmen müssen und sich zuallererst als CDU-Politikerin geäußert. Aber auch als Amtsträgerin sei ihre Stellungnahme gerechtfertigt gewesen.

Kritische Fragen um Neutralitätspflicht

Die Ausführungen Brauns lösten zahlreiche kritische Fragen von Verfassungsrichterinnen und -richtern aus. Peter Müller, früher selbst Ministerpräsident im Saarland, fragte, wieso Merkel nicht in einer Vorbemerkung klarstellte, dass sie als Parteipolitikerin spreche. Außerdem habe sich die damalige CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer in der Sache bereits geäußert gehabt. Schließlich stellte Müller infrage, ob sich Merkel nur an die CDU richtete oder als Kanzlerin die Koalitionsfähigkeit der AfD grundsätzlich verneinte. Richterin Sibylle Kessal-Wulf fragte, warum die Kanzlerin nicht im Nachgang ihrer offiziellen Pressekonferenz in Südafrika ihre Erklärung zur Thüringer Wahl abgeben konnte.

Prozessurteil erst nach Bundeswahl erwartet

Vor der inhaltlichen Prüfung der AfD-Klage lehnten die acht Verfassungsrichterinnen und Richter einen Befangenheitsantrag der AfD als offensichtlich unzulässig ab. Die AfD hatte einen Besuch des Gerichts bei der deutschen Bundesregierung und Bundeskanzlerin Ende Juni als Befangenheitsgrund genannt. Zur Begründung hieß es, dass das Bundesverfassungsgericht als Verfassungsorgan regelmäßig Regierung, Bundestag und Bundesrat treffe. Allein solche Treffen seien völlig ungeeignet, den Vorwurf der Befangenheit zu begründen. Da die Ablehnungsanträge als offensichtlich unzulässig abgelehnt wurden, konnten die abgelehnten Richter selbst entscheiden. Das Urteil in dem Prozess wird frühestens in drei Monaten und damit nach der Bundestagswahl erwartet.