Vor rund 600 Jahren, zur Zeit der Ming-Dynastie, befuhren gewaltige chinesische Flotten unter dem Kommando von Admiral Zheng-He die Ozeane und gelangten mit ihren „Schatzschiffen“ bis nach Ostafrika. Kaiser Zhu Di hatte im Jahr 1403 den Bau der Flotte befohlen. Lange vor den Portugiesen waren chinesische Militärs auf die Idee gekommen, Kanonen auf ihren für damalige Verhältnisse riesigen Schiffe zu installieren und damit ihre maritime Überlegenheit sicherzustellen. Die „Schatzschiffe“ waren mit angeblich bis zu 80 Meter Rumpflänge die größten jemals gebauten Holzschiffe (zum Vergleich: Columbus’ Flaggschiff Santa Maria maß gerade einmal 23 Meter). Um das Jahr 1525 jedoch war es mit der Hochseeflotte des Reichs der Mitte wieder vorbei.

Die Angst vor dem Freihandel wirkte sich verheerend aus

Die politische Elite Chinas beschloss zu Beginn des 16. Jahrhunderts, sich auf das eigene Reich zurückzuziehen und ermöglichte es damit den europäischen Seemächten – zunächst Portugal und Spanien, später Holland und England –, die Welt zu erobern und unter sich aufzuteilen. Zeitlose Erkenntnis: Wer sich auf die Bewahrung des Bestehenden verlegt, anstatt in der Offensive zu bleiben, hat schon verloren.

Der britische Wirtschaftsnobelpreisträger Angus Deaton von der Princeton Universität meint, die wachsende Angst der Ming-Kaiser vor dem Freihandel und der daraus folgenden Macht des Kaufmannsstandes, habe zu der politisch motivierten Entscheidung geführt, die Flotte wieder abzuwracken. Ein schwerer Fehler, wie sich in der Folge zeigte: Das Land erlebte einen wirtschaftlichen Niedergang, der über Jahrhunderte anhielt. China musste bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts bittere Demütigungen durch die europäischen Mächte hinnehmen. Man denke an die beiden verlorenen „Opiumkriege“ 1839 – 1842 und 1856 – 1860 gegen die Briten und an die Niederschlagung des „Boxeraufstands“ im Jahr 1900 durch eine westlich-japanische Allianz.

Wirtschaftsliberale Reformen verhalfen zum Wohlstand

Nachdem China die Exzesse der Mao-Zeit (den „Großen Sprung nach vorn“ 1958-1961 und die „Kulturrevolution“ 1966-1976), die viele Millionen Tote und gewaltige Zerstörungen mit sich brachten, hinter sich gelassen hatte, wurden unter der Führung Deng Xiaopings wirtschaftsliberale Reformen in Angriff genommen. Damit begann in den 1980er-Jahren der wirtschaftliche Höhenflug. Hunderte Millionen Chinesen konnten ihre materielle Lage seither wesentlich verbessern. Viele von ihnen gelangten zu beachtlichem Wohlstand.

Als der US-amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama im Jahr 1989 das „Ende der Geschichte“ ausrief, ging er davon aus, dass nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, des „Reichs des Bösen“, wie Präsident Ronald Reagan es genannt hatte, der weltweite Sieg von Demokratie und Marktwirtschaft endgültig sein würde. Dass mit dem wirtschaftlich damals noch weit von seiner heutigen Größe entfernten China neuerlich ein autoritär geführter Herausforderer des westlich-demokratischen Gesellschaftsmodells die Weltbühne betreten könnte, hatte der neokonservative Gelehrte nicht kommen sehen.

Wachsende Produktivität in "Sonderwirtschaftszonen"

Die langjährige Hochkonjunktur hat Chinas Wirtschaft in der Zwischenzeit an die weltweit zweite Position hinter den USA katapultiert. Japan und Deutschland liegen mit einem runden Drittel, bzw. einem Viertel der Wirtschaftskraft Chinas auf den Rängen drei und vier. Der Anteil der EU am Welt-BIP, der 1970 noch bei 37,5 Prozent lag, ist bis 2021 auf 14,9 Prozent gefallen. Ein Niedergang, der zum großen Teil selbstverschuldet ist.

Während die kommunistische Führung Chinas zwar hinsichtlich der Bürgerrechte einen autoritär-repressiven Kurs fährt, gewährt sie in wirtschaftlicher Hinsicht – Stichwort „Sonderwirtschaftszonen“ – Spielräume, die sich in einer wachsenden Produktivität manifestieren. Das Land ist zur Werkbank der Welt geworden. Wirtschaftliche Freiheit ohne politische Mitsprache ist offensichtlich möglich.

Im Euroland wird dem Mittelstand die Luft abgeschnürt

In Euroland dagegen engen machttrunkene Bürokraten die wirtschaftlichen Spielräume mit immer neuen Regulativen stärker und stärker in Richtung einer sozialistischen Kommandowirtschaft ein. Gender-Mainstreaming, Sprachregulative und allerlei Sozialkitsch sind den Politeliten der EU wichtiger als Wirtschaftskompetenz. Dem Mittelstand, der das Rückgrat jeder liberalen Marktwirtschaft bildet, wird die Luft abgeschnürt.

Kommt es im Zuge der coronabedingt chic gewordenen Kritik an der Globalisierung jetzt auch noch zu protektionistischen Maßnahmen und zu einer Abkehr vom Freihandel, steht dem endgültigen Niedergang der Union nichts mehr im Wege. Brüssel und Straßburg wären gut beraten, die richtigen Lehren aus der Politik der Ming-Kaiser und Deng Xiaopings zu ziehen.