Am 30. April veröffentlichte die Wiener Tageszeitung „Der Standard“ einen Beitrag unter der Überschrift „Was ist eigentlich so schlimm an der Inflation?“  Bei der Lektüre des Beitrags beschleicht einen das Gefühl, dass Christine Lagarde, Chefin der EZB, dem Autor den Text diktiert hat. Die zusammengefasste Antwort auf die in der Headline gestellte Frage lautet nämlich: Gar nix! Madame Lagarde hatte den um ihre Ersparnisse bangenden Bürgern der Eurozone ja schon ausgerichtet, sie sollten gefälligst froh sein, einen Job zu haben und nicht um ihre Ersparnisse trauern. Auch ein Standpunkt: Job oder Vermögen. Als ob es sich um eine Entweder-oder-Angelegenheit handeln würde.

Durch Inflation dezimiertes Vermögen gleicht niemand aus

Auch Standard-Redakteur Eric Frey sieht keinen Grund zur Besorgnis. Schließlich würden ja anziehende Warenpreise ohnehin durch steigende Löhne ausgeglichen. Das stimmt zwar, aber zwischen der Flussgröße Einkommen und der Bestandsgröße Geldvermögen ist strikt zu unterscheiden. Löhne werden – wenn auch mit Verzögerung – angehoben. Durch Inflation dezimierte Geldvermögen (Sparguthaben, Lebensversicherungen, Bausparverträge, etc.) gleicht allerdings niemand aus. Diese Verluste sind irreversibel. Bei der derzeit herrschenden Geldentwertung, verlieren Geldvermögen binnen zehn Jahren übrigens rund die Hälfte (!) ihres Wertes.

Herr Frey behauptet, Inflation sei „Gift für die Politik“. Nun ist Inflation ja bekanntlich kein Naturereignis, sondern sie wird bewusst herbeigeführt. Von wem? Vom politisch-finanzindustriellen Komplex! Wenn also Inflation tatsächlich „Gift für die Politik“ ist, dann sollten die Regierenden und die auf deren Zuruf agierenden Zentralbanken schleunigst von ihrer frivolen Geldpolitik ablassen, um sich nicht am Ende eine Vergiftung zuzuziehen!

Dass nicht nur die Notenbanken, sondern auch die Geschäftsbanken an der Aufblähung der Geldmenge kräftig mitarbeiten stimmt, ändert aber nichts daran, dass sie die Ursache der Geldentwertung ist. Ein Schuldgeldsystem mit Teilreservehaltung macht es möglich, Geld aus dem Nichts zu schaffen. Ein Systemfehler.

Bei gegebener Geldmenge kann keine „Nachfrageüberhitzung“ eintreten

Selbstverständlich darf in Freys Beitrag der Hinweis auf den Todfeind des Sparens, John Maynard Keynes, nicht fehlen. Der habe nach Meinung des Autors, eine „überhitzte Nachfrage“ als Grund für die Inflation identifiziert. Tatsächlich aber war Keynes vielmehr von der Vorstellung einer „Unterkonsumtion“ besessen, der mit schuldenfinanzierten Staatsausgaben als Nachfrageersatz entgegenwirkt werden sollte.

Tatsache ist, dass bei gegebener Geldmenge keine „Nachfragüberhitzung“ eintreten kann – jedenfalls nicht über das gesamte Warenangebot. Die Haushalte sind bei feststehenden Einkommen nämlich genötigt, ihre Ausgaben maßvoll zu gestalten.

Dass „Inflation auch Vorteile bringt“, weil dadurch „eine flexiblere Gestaltung von Preisen und Löhnen möglich“ wäre, ist eine kuriose, begründungslos erhobene Behauptung. Bei gleichbleibender Geldmenge würde – in einer ständig an Effizienz zulegenden Ökonomie –, die Kaufkraft je Geldeinheit laufend steigen und nicht sinken – und genau das würde den Haushalten größere Möglichkeiten eröffnen. Sinkende Kaufkraft dagegen nutzt hauptsächlich dem höchstverschuldeten Akteur – dem Staat –, der damit seine Verbindlichkeiten zulasten der übrigen Geldnutzer entwertet.

In einer voranschreitenden Volkswirtschaft ist Deflation der Normalzustand

Selbstverständlich wird in Freys Aufsatz nicht vergessen, den Gottseibeiuns jedes Geldalchemisten zu beschwören – die angeblich so brandgefährliche Deflation. Dass in einer voranschreitenden Volkswirtschaft – ohne politisch motivierte Geldmanipulation – eine milde Deflation den Normalzustand bedeutet (weil mehr Güter zu sinkenden Preisen produziert werden können: In den sich rasant industrialisierenden USA des 19. Jahrhunderts war das der Fall), wird ignoriert. Die Verbilligung von elektronischen Geräten ist der beste Beleg: Trotz sinkender Preise, haben die Konsumenten dennoch keinen Kauf in der Erwartung noch billigerer oder besserer Geräte aufgeschoben.

Der bei derartigen Gelegenheiten obligate Hinweis auf die Wirtschaftsdepression der 1930er-Jahre geht ins Leere, weil diese eine Folge der Inflationsorgie der „Roaring Twenties“ war und daher nur eine – wenn auch schmerzhafte – Korrektur einer vorangegangenen Fehlentwicklung bedeutete.

Richtig ist, dass die Geldentwertung auch Erwartungen abbildet. Verliert das Publikum zu großen Teilen das Vertrauen in die Werthaltigkeit des Geldes, setzt dessen Verfall ein, der in einer Hyperinflation münden kann, wie das in den frühen 1920er-Jahren in Deutschland und Österreich der Fall war.

Den Staat kostet in Wahrheit gar nichts etwas

Die Behauptung „Es gibt mehr als eine Inflationsrate“, ist nur zu halten, wenn man das Phänomen Inflation ausschließlich als Preisinflation interpretiert. Das aber ist falsch. Denn Inflation (lat. inflare – aufblähen) bezieht sich grundsätzlich auf die Geldmenge. Preisinflation ist die Folge einer Geldmengenausweitung – ein monetäres Phänomen.

Dass Materialverknappungen und kriegerische Konflikte als Treiber der Geldentwertung wirken, steht außer Frage. Ursache der auch schon vor der Pandemie und dem Ukrainekrieg bestehenden Kaufkrafterosion, war und ist allerdings die inflationistische Politik der Regierungen und einer enthemmten Finanzindustrie.

Dass das Verteilen von Zuschüssen an Bedürftige, um die Teuerung auszugleichen, „den Staat viel Geld kostet“, rundet den märchenhaften Beitrag Eric Freys ab. Den Staat kostet nämlich gar nichts etwas, weil er ja weder etwas produziert, noch etwas besitzt, das er nicht zuvor seinen Insassen gestohlen hat (wie schon Friedrich Nietzsche scharfsichtig erkannte). Kosten entstehen immer und ausschließlich den täglich weniger werdenden Nettosteuerzahlern. Das indes, ist ein für gestandene Linke wie Eric Frey schwer zu fassendes Faktum.