Wer kennt sie nicht, Astrid Lindgrens Kinderbuchikone Pippi Langstrumpf? Das Credo der frechen, mit anarchischen Zügen ausgestatteten Tochter eines „Negerkönigs“ (der aus Gründen politischen Korrektheit längst zu einem „Südseekönig“ umgedichtet wurde) lautet: „Ich mach mir die Welt, widde widde wie sie mir gefällt.“ Der Anspruch, die Welt nach ihrem Gutdünken – jederzeit auch gegen alle Naturgesetze und alle ökonomischen Grundsätze – gestalten zu können, gehört auch zur Grundausstattung jedes sendungsbewussten Weltverbesserers.

Zwar bestehen zwischen Traum und Wirklichkeit im irdischen Jammertal erhebliche Differenzen, was allerdings viele Zeitgenossen nicht davon abhält, ihrem Traum trotzdem unbeirrt nachzujagen. Beispielsweise dem von der Abschaffung, oder zumindest einer massiven Begrenzung des Arbeitsleids. Da Arbeit nach ihrer Ansicht einen „Disnutzen“ darstellt, lautet das erklärte Ziel: Mehr Freizeit und mehr Lebensqualität. Und das selbstverständlich bei gleicher Bezahlung.

Müßiggang ist aller Laster Anfang

Der Volksmund sagt nicht zu Unrecht: Müßiggang ist aller Laster Anfang. Da könnte was dran sein. Wozu mehr Freizeit gut sein soll, wenn ein beachtlicher Teil der Menschen ohnehin nichts Rechtes damit anzufangen weiß und sich folglich entweder geisttötenden Zerstreuungen widmet oder sich die Köpfe mit allerlei Flausen vollstopft, um sich anschließend in Weltrettungsabsicht auf die Straße zu kleben, sei dahingestellt. Damit ist übrigens nicht gesagt, dass etwas gegen individuelle Selbstbestimmung spricht – solange sie nicht von Dritten zwangsfinanziert werden muss oder auf andere Weise zu deren Lasten geht. Wer mit weniger Einkommen zurechtkommen kann und will – warum nicht?

Der russisch-amerikanischen Philosophin und Erfolgsautorin Ayn Rand („Atlas Shrugged“ und „Fountainhead“), die im durch und durch sozialdemokratisierten Europa leider viel zu wenig rezipiert wird, verdanken wir indes folgende Einsicht: „Nur für das Nötigste zu arbeiten, ist ein Luxus, den die Menschheit sich nicht leisten kann.“ Jedenfalls kann sich das diejenige Teil der Menschheit nicht leisten, der im Wettbewerb steht und seine Entscheidungen somit nicht in der Art von Eremiten treffen kann, die niemandem Rechenschaft schulden, weil sie autark leben. Es ist einfach eine Illusion zu glauben, den gewohnten Lebensstandard hierzulande mit weniger Arbeitseinsatz auch nur annähernd halten zu können, während in Übersee weiterhin mit Hochdruck und ohne Anspruch auf fünf- oder sechswöchigen Urlaub und obligate Frühpensionierung gearbeitet wird. Wir leben nämlich, ob uns das gefällt oder nicht, trotz Pandemie, Krieg und wiederauflebendem Protektionismus, in einer in wirtschaftlicher Hinsicht international vernetzten Welt und nicht auf einer weltabgeschlossenen Insel der Seligen.

Schluss mit überkommenen protestantischen Arbeitsethos

„Work-Life-Balance“ heißt das neudeutsche, freizeitorientierte Zauberwort. Schluss mit dem überkommenen protestantischen Arbeitsethos! Wir leben eben nicht, um zu arbeiten! Das scheint auch der neue Glaubensgrundsatz der Gewerkschaften zu sein, die sich von einer Vertretung der werktätigen Massen immer mehr zum Anwalt des Müßiggangs der Arbeitsunwilligen zulasten der Leistungsträger wandelt.

Unter welchem Motto die Befürwortung und Förderung eines verbrieften Rechts auf Faulheit auch immer daherkommt – nie wird danach gefragt, wie die Chose bezahlt werden soll, von wem und warum. Das heißt, letzteres stimmt nicht ganz, denn auf einem anlässlich der obligaten Opernballdemo von linken Krawallmachern geschwenkten Banner war zu lesen: EAT THE RICH. Will heißen: Die Reichen sollen zahlen! Ein rasend origineller Gedanke. Dass „die Reichen“, wenn ihnen die antikapitalistischen Veitstänze zu blöd werden, einfach ihre Louis-Vuitton-Koffer packen und in weniger neidgetriebene Gefilde abwandern werden (ein Prozess, der längst im Laufen ist), kommt den beherzten Kämpfern für die soziale Gerechtigkeit offenbar nicht in den Sinn. Doch selbst wenn es so wäre: Sie ziehen den kollektiv erlebten Mangel allemal einer materiellen Ungleichheit vor. Den Anspruch, die Armen reich machen zu wollen erheben sie (aufgrund der Einsicht in die Ineffizienz sozialistischer Systeme) längst aufgeben. Daher ändern sie ihre Stoßrichtung: Sie wollen die Reichen arm machen.

Erinnerungen an Kalauer der 1970er-Jahre

Hinter diesem geballten Unsinn steht, wie immer, die Begeisterung aller Linken für die „soziale Gerechtigkeit“. Wobei Gerechtigkeit mit Gleichheit identifiziert wird. Nicht das Backen größerer Kuchen ist ihr Thema, sondern den vorhandenen Kuchen (etwa die Arbeit) – auf möglichst viele Köpfe zu verteilen. Wenn etwa nur noch an vier anstatt an fünf Tagen gearbeitet wird, so ihre kindische Vorstellung, entstehen automatisch neue Arbeitsplätze. Kein unbedingt nobelpreisverdächtiger Gedanke. Schließlich bedeutet eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich steigenden Arbeitskosten, damit eine sinkende Unternehmensproduktivität und daher abnehmende Konkurrenzfähigkeit. Oder aber menschliche Mitarbeiter werden durch Roboter ersetzt. Das ist dann „sozial“?

Nur am Rande vermerkt: Dass die Gewerkschaften – ausgerechnet in einer Zeit, da die Betriebe – und zwar branchenunabhängig – händeringend nach Mitarbeitern suchen, fordern, die Arbeitszeit zu verkürzen, legt die Vermutung nahe, dass sie den Schlachtruf Pippi Langstrumpfs tief verinnerlicht haben. Der lautet übersetzt dann so:  „Die 4-Tage-Woche darf nicht bedeuten, dass täglich zehn Stunden gearbeitet werden. Die Tagesarbeitszeit muss immer sinken.“ So viel ideologisch motivierte Verbohrtheit ist selten.

Die aktuelle Gewerkschaftsforderung ruft Erinnerungen an einen Kalauer der 1970er-Jahre wach: Auf einer Gewerkschaftsversammlung tönt der vorsitzende Genosse: „Kollegen, wir kämpfen dafür, dass Ihr alle nur noch am Mittwoch arbeiten müsst!“ Worauf aus dem Kreis der Werktätigen die besorgte Frage ertönt: „Jeden Mittwoch?“