Die nobelste und wichtigste Aufgabe des ORF, also der Grund, warum Millionen Österreicher eine nicht gerade knappe Zwangsabgabe dafür berappen müssen, ist zuerst die Information. Nicht die Erziehung. Nicht die Vorverurteilung. Nicht die Unterhaltung. Und schon gar nicht die Kumpanei mit Oppositionsparteien gegen die Regierung. Während die letztgenannten Beispiele aber schon sehr gut vor allem am Küniglberg praktiziert werden, scheint Ersteres zunehmend in den Hintergrund zu treten. Als vor einer Woche eine Flut unfassbaren Ausmaßes die Innenstadt von Hallein unter Wasser setzte, reagierte der ORF erst viel zu spät. Viele Menschen sind daher von dem Hochwasser überrascht worden. Hätten sie früher gewarnt werden müssen? Eine Spurensuche.

Erste Meldungen um 21.44 Uhr

Erstmals Alarm schlug das Land Salzburg am Samstagabend gegen 21.44 Uhr: “ACHTUNG, ACHTUNG, eine wichtige Information für die Bewohner der Stadt Hallein – es wurde Zivilschutzalarm ausgelöst.” Der Kothbach trat über die Ufer, die Situation war zunehmend angespannt. Die Bevölkerung wurde aufgefordert, in den Häusern zu bleiben, Tiefgaren und Keller zu meiden und sich auch von den Dämmen und Fließgewässern fernzuhalten. Zeitgleich spitzte sich auch die Hochwasser-Lage in Tirol dramatisch zu.

Vom ORF hörte man zu diesem Zeitpunkt: nichts. Dabei kam das Wasser wenig überraschend. Tagelang dominierte bereits die Todesflut von Deutschland die Berichterstattung. Ebenfalls ausgelöst durch Starkregen. Und Unwetter machen bekanntlich nicht Halt an Landesgrenzen. Grundsätzlich sind Salzburg und Tirol für solche Situationen gut gerüstet – anders offenbar der ORF: Denn auch 15 Minuten später war auf seiner Homepage noch keine Meldung über den ausgelösten Zivilschutzalarm zu lesen. Zu diesem Zeitpunkt kursierten bereits unzählige Fotos und Videos in sozialen Medien, aufgenommen noch bei Tageslicht, die zeigten, wie Wassermassen Häuser fluteten, Autos durch die Straßen schwemmten und sogar Menschen mitrissen. Die Warnungen hatten sie offenbar nicht erreicht.

Premieren-Gäste verließen "Jedermann" vorzeitig wegen der Flut

Das “Timing” für das Hochwasser war für Salzburg freilich “suboptimal”. Zeitgleich fand nämlich die Premiere der Neuinszenierung des Jedermann statt mit prominenten Namen und allerlei Zeitgeist. Alles, was Rang und Namen hat in der Mozartstadt, hatte sich im Festspielhaus versammelt. Gut möglich, dass unter den Gästen auch leitende Redakteure des ORF waren, aber das darf keine verspätete Reaktion entschuldigen. Denn auch innerhalb der festlichen Hallen dürfte sich die Nachricht von der verheerenden Flut schnell rumgesprochen haben.

Wie mir der Bürgermeister von Oberndorf etwa erzählt hat, Georg Djundja, hat er selbst nur in den ersten 20 Minuten an der Premiere teilgenommen, “dann musste ich abbrechen aufgrund der immer schneller steigenden Salzach-Pegelstände und dem neuen Lagebericht des Landes Salzburg für Oberdorf.” Er hat seine Prioritäten richtig gesetzt. Zeitgleich noch immer kein erkennbares Zeichen vom ORF.

Selbst die deutsche BILD machte noch in der Nacht mit Hallein auf

Kurz nach 22 Uhr haben dann private Medien auf die Flut-Bilder reagiert. Die Online-Präsenz der größten Tageszeitung des Landes machte mit Berichten aus Hallein auf. Auch oe24 ging zu dieser Zeit mit der Flut-Katastrophe online und entsendete eigens einen Flut-Reporter in die Krisenregion, der aktuell berichtete. Immer mehr private Medien zogen nach mit Live-Tickern und umfassender Berichterstattung. Selbst das deutsche Bild.de machte noch in der Nacht mit Salzburg auf: “Wassermassen wälzen sich durch Hallein: Flut-Schock in Österreich!”

Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter war der Hashtag “Hallein” bereits seit einer halben Stunde das Top-Thema. Die ganze Welt blickte auf die Salinenstadt im Tennengau, während der ORF auf seiner Startseite über irgendwelche Krisenherde im Ausland berichtete.

Der ORF berichtete erst nach Mitternacht live im TV von einer Flut, die zu dem Zeitpunkt längst vorbei war

Erst nach 23 Uhr – als der Höhepunkt der Flut längst überwunden war – griff der ORF das Thema schließlich auf. Um 23.14 Uhr setzte er eine Eil-Meldung ab: “Extreme Regenfälle führen zu Hochwasser: Zivilschutzalarm in Hallein und Mittersill (Salzburg) sowie in Kufstein (Tirol).” Die Meldung erfolgte somit eineinhalb Stunden später, nachdem der Alarm ausgelöst worden war. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Stadt Hallein längst Notunterkünfte eingerichtet und das Wasser weitestgehend zurückgedrängt.

Um 0.15 Uhr sendete der ORF schließlich noch ein ZIB Spezial. Das Wiener Studio schaltete zu einem Redakteur vom Landesstudio, der in den dunklen Gassen von Hallein stand und über eine Flut berichten sollte, die zu dem Zeitpunkt gar nicht mehr existierte. Hinter ihm fuhr ein Wagen der Feuerwehr, die Aufräumarbeiten waren also bereits in vollem Gange, als der ORF seine Zuschauer erstmals im Fernsehen über das Hochwasser informierte. Das war definitiv zu spät.

Private Medien konnten leisten, was der ORF nicht zustande brachte

Erst Tage zuvor waren öffentlich-rechtliche Medien in Deutschland, besonders der WDR, in die Kritik geraten, weil sie ebenfalls viel zu spät vor dem Hochwasser warnten. Als Grund nannten die Verantwortlichen unter anderem, dass sie selbst Opfer der Flut gewordene wären. Ein Sendestudio war von den Wassermassen überrascht worden. Dass der ORF in Wien unter Wasser stand, ist unterdessen ausgeschlossen. Warum also waren es die privaten Medien, die seine Kernaufgabe übernehmen mussten?

Wenn wir dieser Tage über die Zukunft des ORF diskutieren, dann sollten wir auch offen darüber sprechen, wie der ORF seine Kernaufgaben besser erfüllen kann. Irgendwelche privaten SMS-Chats sind vielleicht unterhaltsam, aber überlebenswichtig sind sie nicht. Warnungen vor einem Hochwasser allerdings schon.

Anna Dobler ist eine mehrfach ausgezeichnete, ausgebildete und studierte Journalistin und Kolumnistin. Nach beruflichen Stationen in Berlin, München, Italien und Salzburg, lebt und arbeitet sie mittlerweile in Wien. Auf Twitter setzt sich @Doblerin ein für freie Märkte und freie Meinung.