Früher haben Polizisten bei Demos kurzen Prozess gemacht und alles niedergeknüppelt, was nicht bei drei auf dem Baum war. Solche Zeiten sind zum Glück längst vorbei, denn der Staat hat sich in den vergangenen Jahrzehnten im Umgang mit seinen Bürgern deutlich gewandelt: Law & Order sind längst verpönt, stattdessen haben sich Behörden zunehmend als Service-Einrichtungen etabliert, die “Kunden” bedienen und deren Zufriedenheit – zumindest offiziell – als oberste Priorität einstufen. Das Arbeitsamt in Deutschland hat sich etwa zur “Agentur für Arbeit” gewandelt und das AMS in Österreich hat den Service-Gedanken ohnehin direkt im Namen. Um ja keine Gefühle zu verletzen, verwenden Behörden schon längst eine inklusive Gender-Sprache und wer will, muss sich in Formularen nicht mehr auf zwei Geschlechter beschränken. Lehrer dürfen Schüler nur noch mit Samthandschuhen anfassen, sonst gibt es Ärger mit den Eltern und die Polizei twittert unterdessen witzige Memes und spaßige Sprüche. Lediglich das Finanzamt darf noch gelegentlich den bösen Buben spielen. Der Kunde ist König. Bitte, danke, herzlichst ihr treu ergebener Staat.

Freilich, Liberale wissen längst, dass der schwache Staat nur eine Illusion ist, aber zumindest ein Teil der Bürger glaubte sich zunehmend in der Rolle des mündigen Entscheiders. Dieser mitunter nach außen hin verweichlichte Kurs hat die Mehrheitsgesellschaft zuletzt in Watte gepackt und sie in dem falschen Glauben gelassen, sie habe tatsächlich hier das Sagen. Das findet unter anderem Ausdruck in den fast täglichen Unverschämtheiten, die sich Lehrer, Polizisten oder Mitarbeiter von Behörden anhören müssen.

Diese neue härtere Gangart der Regierung in der Corona-Politik fühlt sich daher für viele Bürger ungewohnt an, weil der Ton von “allen ein Impf-Angebot ermöglichen” zu “ungemütliche Weihnachten für Ungeimpfte” sehr schnell umgeschlagen ist. Mit der jetzt für Februar geplanten Impfpflicht greift die Regierung auf eine Weise durch, wie man es schon lange nicht mehr erlebt hat. Plötzlich drückt der Staat nicht mehr beide Augen milde zu, sondern ergreift Maßnahmen, die man ihm gar nicht zugetraut hätte. Das kann der Dramatik der Situation geschuldet sein. Ob es in allen Fällen auch gerechtfertigt ist, sei mal dahin gestellt.

Fehlende Zwischentöne

Denn Österreichs Corona-Politik war zuletzt vor allem von absoluten Szenarien geprägt: Harter Lockdown für alle. Generelle Impfpflicht – da kann man durchaus Zwischentöne vermissen. Solch einschneidenden Maßnahmen sollten wirklich nur ergriffen werden, wenn zuvor alle anderen Mittel voll ausgeschöpft worden sind. Doch war das hierzulande tatsächlich der Fall? Andere europäische Länder gehen bei der Impfpflicht zumindest zaghafter vor. Deutschland hat sie jetzt zumindest anfänglich auf Gesundheitspersonal beschränkt. In Tschechien gilt die Corona-Impfpflicht nur für Personen über 60 Jahren. Ob jetzt Österreich oder seine Nachbarländer den richtigen Weg gewählt haben, wird wohl erst die Zukunft weisen. Aber so viel ist klar: Mückstein geht zweifellos “all in”, um eine Redewendung aus dem Glücksspiel zu strapazieren, denn auch dort ist es ungewiss, ob der volle Einsatz auch tatsächlich den Jackpot bringt, der in diesem Fall hoffentlich bedeutet, dass es nie wieder einen Lockdown hierzulande braucht – oder gar, man wagt es kaum noch zu hoffen, tatsächlich das Ende der Pandemie.

Solidarität muss man sich leisten können

Apropos Lockdown: Auch hier sollte jeder Tag, jede Stunde, sogar jede Minute bestens argumentiert werden können seitens der Politik. Und so viel ist wohl klar: “Solidarität” allein ist kein ausreichender Grund, um die Existenz zahlreicher Menschen zu gefährden. Doch genau dieses Wort ist den roten Länderchefs leicht über die Lippen gekommen, wenn sie erklärt haben, warum sie trotz hoher Impf-Quote, freier Intensiv-Betten und verhältnismäßig niedriger Inzidenz ihr Bundesland komplett runter gefahren haben. Zuletzt kündigte Wiens Bürgermeister Michael Ludwig sogar an, die Gastro und die Hotellerie als Allerletzter öffnen zu wollen. Mittlerweile kennt man die Wiener Extrawurst schon zur Genüge: Wo immer sich die Möglichkeit bietet, schlägt Ludwig umgehend einen härteren Sonderweg ein und beruft sich dabei auf Empfehlungen seines Experten-Stabs, der fast ausschließlich mit Medizinern besetzt ist. Vertreter der Wirtschaft, der Gastro oder des Handels sucht man in dieser Runde vergeblich. Sie können den Bürgermeister lediglich über öffentliche Kanäle anflehen, den Lockdown nicht unnötig zu verlängern, aber ob sie wirklich (an-) gehört werden, ist fraglich. Vermutlich handelt es sich bei diesen Lockdown-Opfern ohnehin um kein rotes Wählerklientel, weil es doch die Gründer sind, die Selbstständigen mit  tatkräftigen Visionen, die um ihre Existenz zittern müssen. Jeder Tag im Lockdown kostet die öffentliche Hand übrigens rund 70 Millionen Euro. Solidarität muss man sich leisten können.

Anna Dobler ist eine mehrfach ausgezeichnete, ausgebildete und studierte Journalistin und Kolumnistin. Nach beruflichen Stationen in Berlin, München, Italien und Salzburg lebt und arbeitet sie mittlerweile in Wien. Auf Twitter setzt sich @Doblerin ein für freie Märkte und freie Meinung.