Anna Dobler: Der harte Staat
Im Kampf gegen die Corona-Pandemie verzichtet Österreich bei seinen Maßnahmen immer öfter auf Zwischentöne. Der Bürger ist aber ein derart hartes Durchgreifen nicht mehr gewöhnt, nachdem sich der Staat in den vergangenen Jahren eher als Service-Einrichtung verstanden hat.
Früher haben Polizisten bei Demos kurzen Prozess gemacht und alles niedergeknüppelt, was nicht bei drei auf dem Baum war. Solche Zeiten sind zum Glück längst vorbei, denn der Staat hat sich in den vergangenen Jahrzehnten im Umgang mit seinen Bürgern deutlich gewandelt: Law & Order sind längst verpönt, stattdessen haben sich Behörden zunehmend als Service-Einrichtungen etabliert, die “Kunden” bedienen und deren Zufriedenheit – zumindest offiziell – als oberste Priorität einstufen. Das Arbeitsamt in Deutschland hat sich etwa zur “Agentur für Arbeit” gewandelt und das AMS in Österreich hat den Service-Gedanken ohnehin direkt im Namen. Um ja keine Gefühle zu verletzen, verwenden Behörden schon längst eine inklusive Gender-Sprache und wer will, muss sich in Formularen nicht mehr auf zwei Geschlechter beschränken. Lehrer dürfen Schüler nur noch mit Samthandschuhen anfassen, sonst gibt es Ärger mit den Eltern und die Polizei twittert unterdessen witzige Memes und spaßige Sprüche. Lediglich das Finanzamt darf noch gelegentlich den bösen Buben spielen. Der Kunde ist König. Bitte, danke, herzlichst ihr treu ergebener Staat.
Freilich, Liberale wissen längst, dass der schwache Staat nur eine Illusion ist, aber zumindest ein Teil der Bürger glaubte sich zunehmend in der Rolle des mündigen Entscheiders. Dieser mitunter nach außen hin verweichlichte Kurs hat die Mehrheitsgesellschaft zuletzt in Watte gepackt und sie in dem falschen Glauben gelassen, sie habe tatsächlich hier das Sagen. Das findet unter anderem Ausdruck in den fast täglichen Unverschämtheiten, die sich Lehrer, Polizisten oder Mitarbeiter von Behörden anhören müssen.
Diese neue härtere Gangart der Regierung in der Corona-Politik fühlt sich daher für viele Bürger ungewohnt an, weil der Ton von “allen ein Impf-Angebot ermöglichen” zu “ungemütliche Weihnachten für Ungeimpfte” sehr schnell umgeschlagen ist. Mit der jetzt für Februar geplanten Impfpflicht greift die Regierung auf eine Weise durch, wie man es schon lange nicht mehr erlebt hat. Plötzlich drückt der Staat nicht mehr beide Augen milde zu, sondern ergreift Maßnahmen, die man ihm gar nicht zugetraut hätte. Das kann der Dramatik der Situation geschuldet sein. Ob es in allen Fällen auch gerechtfertigt ist, sei mal dahin gestellt.
Fehlende Zwischentöne
Denn Österreichs Corona-Politik war zuletzt vor allem von absoluten Szenarien geprägt: Harter Lockdown für alle. Generelle Impfpflicht – da kann man durchaus Zwischentöne vermissen. Solch einschneidenden Maßnahmen sollten wirklich nur ergriffen werden, wenn zuvor alle anderen Mittel voll ausgeschöpft worden sind. Doch war das hierzulande tatsächlich der Fall? Andere europäische Länder gehen bei der Impfpflicht zumindest zaghafter vor. Deutschland hat sie jetzt zumindest anfänglich auf Gesundheitspersonal beschränkt. In Tschechien gilt die Corona-Impfpflicht nur für Personen über 60 Jahren. Ob jetzt Österreich oder seine Nachbarländer den richtigen Weg gewählt haben, wird wohl erst die Zukunft weisen. Aber so viel ist klar: Mückstein geht zweifellos “all in”, um eine Redewendung aus dem Glücksspiel zu strapazieren, denn auch dort ist es ungewiss, ob der volle Einsatz auch tatsächlich den Jackpot bringt, der in diesem Fall hoffentlich bedeutet, dass es nie wieder einen Lockdown hierzulande braucht – oder gar, man wagt es kaum noch zu hoffen, tatsächlich das Ende der Pandemie.
Solidarität muss man sich leisten können
Apropos Lockdown: Auch hier sollte jeder Tag, jede Stunde, sogar jede Minute bestens argumentiert werden können seitens der Politik. Und so viel ist wohl klar: “Solidarität” allein ist kein ausreichender Grund, um die Existenz zahlreicher Menschen zu gefährden. Doch genau dieses Wort ist den roten Länderchefs leicht über die Lippen gekommen, wenn sie erklärt haben, warum sie trotz hoher Impf-Quote, freier Intensiv-Betten und verhältnismäßig niedriger Inzidenz ihr Bundesland komplett runter gefahren haben. Zuletzt kündigte Wiens Bürgermeister Michael Ludwig sogar an, die Gastro und die Hotellerie als Allerletzter öffnen zu wollen. Mittlerweile kennt man die Wiener Extrawurst schon zur Genüge: Wo immer sich die Möglichkeit bietet, schlägt Ludwig umgehend einen härteren Sonderweg ein und beruft sich dabei auf Empfehlungen seines Experten-Stabs, der fast ausschließlich mit Medizinern besetzt ist. Vertreter der Wirtschaft, der Gastro oder des Handels sucht man in dieser Runde vergeblich. Sie können den Bürgermeister lediglich über öffentliche Kanäle anflehen, den Lockdown nicht unnötig zu verlängern, aber ob sie wirklich (an-) gehört werden, ist fraglich. Vermutlich handelt es sich bei diesen Lockdown-Opfern ohnehin um kein rotes Wählerklientel, weil es doch die Gründer sind, die Selbstständigen mit tatkräftigen Visionen, die um ihre Existenz zittern müssen. Jeder Tag im Lockdown kostet die öffentliche Hand übrigens rund 70 Millionen Euro. Solidarität muss man sich leisten können.
Anna Dobler ist eine mehrfach ausgezeichnete, ausgebildete und studierte Journalistin und Kolumnistin. Nach beruflichen Stationen in Berlin, München, Italien und Salzburg lebt und arbeitet sie mittlerweile in Wien. Auf Twitter setzt sich @Doblerin ein für freie Märkte und freie Meinung.
Kommentare
Der Staat hat in der Pandemie total versagt. Mit der Impfpflicht werden Gräben aufgerissen, die nie mehr zu kitten sein werden.
Als ich bei meinem Anruf ins Finanzminsiterium ins “Kundenservice” verbunden wurde, habe ich zum “Kundenbetreuer” gesagt, dass es sich hier um einen Irrtum handeln müsse. Ein Kunde sei nämlich ein nachfragendes Subjekt in der Wirtschaft. Ich bin aber ein durch staatliche Gewaltandrohung zur Leistung gezwungenes Subjekt.
Wurde nicht verstanden. Habs dann bleiben lassen.
Ich gratulieren dem Italienischen Ärzten und Pflegepersonal das wieder, mit offenen Armen eingesetzt wird, hoffentlich ohne Impfzwang und mit mehr Gehalt, super. Ich bin neugierig ob eine der österreichischen Staatszeitung en was berichten. Wahrscheinlich nicht. Aber bitte an unser Pflegepersonal weiterleiten.
Den Spruch gibt es auch in der Finanzbranche und er bedeutet noch mehr als im Glückspiel, denn im Casino kann man nur verlieren was man setzt.
Bei manchen Wertpapiergeschäften kann man mehr verlieren – kann kurzfristig total ruiniert werden, wenn es nicht klappt.
Ganz ehrlich, was die Regierung derzeit aufführt erinnert mich daran – nur die Gewinnchanchen sind niedrig, denn die Wirkung der derzeitig verfügbaren Impfungen beträgt 60 % – 70 %. Wenn nicht Novavax und Valneva schnell mehr bringen reicht das nicht.
Was aber passieren kann ist, daß die entsprechenden Minister für ihr restliches (Berufs-) Leben in Österreich schwierige Bedingungen vorfinden. Ich würde für so Himmelfahrtkommando – wer glaubt daß die Truppe in einem Jahr noch da ist? – nicht riskieren, daß ich es nachher schwer habe. Diese Art von “All In” verstehe ich nicht.
Herr Dr. Staudinger von der Intensivabteilung des AKH berichtet darüber das mittlerweile 90 Prozent der Covidpatienten auf seiner Intensivstation nicht geimpft sind.
Er berichtet weiter das es sich im überwiegenden Fall um Patienten im Alter von 35 bis 60 Jahren handelt.
Meine Botschaft an alle Impfgegner die demonstrieren gehen, vergleicht die beiden Aussagen, jene vom Arzt und jene von der FPÖ-Politikerin.
Und wenn ihr euch dann für die Aussage der FPÖ Politikerin entscheidet, wie schafft ihr es dann bloß im Fall des Falles zum Telephon zu greifen um die Rettung zu rufen?
Muß dann nicht euer ganzes Weltbild zusammenbrechen?
Wisst Ihr nicht das euer Körper auf Intensivstationen mit einem ganzen Cocktail an Medikamenten behandelt werden muss gegen den die Impfung wie ein Aspirin erscheint.
Alle Organe werden aufs äußerste belastet, nach wochenlangem liegen sind Muskel und Sehnen monatelang zu schwach um ein normales Leben zu führen, es stehen Wochen des Zurückkämpfens in Rehas bevor.
Die Lungen waren so heftig entzündet das Langzeitschäden sehr wahrscheinlich sein werden.
Wenn Sie also auf Grund von bestimmten Voraussetzungen zu einer Risikogruppe gehören denken Sie bitte darüber nach.
Auf der anderen Seite sollte die Regierung vom Rasenmäherprinzip der Impfung abkehren.
Damit würde es zu einer Entschärfung des Konfliktes kommen.
Aufklären und die Realität jeden Tag berichten.
Lassen wir jene zu Wort kommen die durch die Hölle gingen und zwischen Leben und Tod Covid von der Schaufel springen konnten.
Sie sind die besten Botschafter.
Wieder ein sehr guter Artikel und sehr interessante Postings. Es wäre wirklich gut diese Stimmen auch im öffentlichen Dialog zu Gehör zu bringen, aber diese fatale Fehlentwicklung betrifft auch in noch stärkerem Ausmaß den Großteil unserer Medienlandschaft.
“Solidarität muss man sich leisten können.” Richtig.
Ich möchte eine Empfehlung für die letzte Talk im Hangar Sendung aussprechen.
Sachlich, unaufgeregt und mit den Zwischentönen von denen Frau Dobler spricht.
…schlägt Ludwig umgehend einen härteren Sonderweg ein und beruft sich dabei auf Empfehlungen seines Experten-Stabs, der fast ausschließlich mit Medizinern besetzt ist. Vertreter der Wirtschaft, der Gastro oder des Handels sucht man in dieser Runde vergeblich…
Spricht nicht für das Urteilsvermögen des Wr. Bürgermeisters!
Meines Erachtens ist diese Gleichung nicht ganz korrekt gelöst worden, weil stets auf beiden Seiten die gleichen Rechenoperationen durchzuführen sind. Die Theorie, dass der Souverän in Watte gepackt sei, bedingt im Umkehrschluss, dass auch die Politik an ein folgendes Volk gewöhnt ist.
Den einfachsten physikalischen Grundsätzen folgend, wird Druck auf der einen Seite auch die entsprechende Gegenkraft erzeugen. Ob diese Radikalisierung des gesellschaftlichen Klimas Vorteile in sich trägt mag von den angestrebten Idealen abhängig sein. Blicken wir in der Zeit zurück – Hainburg, Zwentendorf bishin zum österreichischen Bürgerkrieg.
Es sind nur wenige Schritte erforderlich um viele Jahrzehnte gesellschaftlicher Evolution zunichte zu machen und uns alle auf den Weg zurück in die Steinzeit zu schicken.