
Anna Dobler: Grassierende Wirtschaftsfeindlichkeit
Kaum steigen die Corona-Zahlen wird wieder der Ruf nach einem Lockdown laut. Die Wirtschaft sei schließlich nicht so wichtig wie Menschenleben, heißt es dazu lapidar. Doch schon diese Form der Abwägung zeigt, dass komplexe Zusammenhänge nicht ausreichend erfasst werden.
Wenn es nach einer lauten Minderheit in unserer Gesellschaft geht, habe sich die Wirtschaft allen anderen Interessen stets unterzuordnen. Die steigenden Corona-Zahlen würden einen neuerlichen Lockdown rechtfertigen, weil immerhin müssen ja Menschenleben an oberster Stelle stehen. Diese Abwägung zwischen Tod und Kapitalismus ist freilich vollkommen schwachsinnig, weil ohne eine funktionierende Wirtschaft ein ziviles Leben gar nicht möglich ist und wie bereits in einer früheren Kolumne beschrieben, haben wir es überhaupt dem Kapitalismus zu verdanken, dass ein Impfstoff nicht nur sehr schnell verfügbar war, sondern auch reibungslos verteilt werden konnte. Freilich, die Forderung nach einem kompletten Lockdown kommt einem leichter über die Lippen, wenn die eigene Existenz nicht gefährdet ist, etwa weil die Zahlung staatlicher Transferleistungen davon erstmal nicht getrübt ist.
Die Wirtschaft, das sind in den Köpfen der Lockdown-Fetischisten jene da oben, die millionenschwer sind und den Bezug zur Lebensrealität verloren haben. Dabei sind die Wirtschaft wir alle: die Arbeitnehmer, die Mieter, die Konsumenten, die Autofahrer – ja selbst ein Kind ist Teil des wirtschaftlichen Kreislaufes. Kommt der zu erliegen, zerbricht auch das zivile Leben und zwar weit dramatischer als durch eine Überlastung des Gesundheitssystems. Nur mit Millionenausgaben konnten die Schäden, die durch die Lockdowns entstanden sind, einigermaßen behoben werden. Einigermaßen, wohlgemerkt. Ein guter Freund von mir ist deutsch-österreichischer Unternehmer in der Tourismusbranche, ein Selfmade-Millionär, der sich nach oben gearbeitet hat. Vor ein paar Wochen haben wir uns das erste Mal wieder getroffen seit einigen Jahren und ich erkannte ihn kaum wieder. Er war fast ein gebrochener Mann, der keinen Sinn mehr in seinem Leben sah, weil die Corona-Maßnahmen ihn fast in die Pleite getrieben haben. Der Fall ist zu komplex und zu privat, um ihn hier näher erläutern zu können, aber es ist schlicht ein Irrtum zu glauben, das irgendwelche Hilfszahlungen in allen Fällen greifen können. Was mich geschockt hatte, war sein Frust, den er auf die Regierungen hatte, weil er sie für seine Situation verantwortlich macht. „Sie können nichts dafür“, versuche ich zu beschwichtigen, „es ist unterm Strich die Schuld von dem Virus. „Ich weiß, aber lange halte ich das nicht mehr durch.“
Politiker müssen Kompromisse finden
Ein Lockdown kann nie eine Lösung sein, sondern ist stets die Kapitulation vor dem Problem. Erst wenn alle Maßnahmen ausgeschöpft sind, sollte überhaupt erst das Wort in den Mund genommen werden und nicht wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Menschen hängen, weil das lediglich zu Angst und Verunsicherung führt. Ein kompletter Lockdown ist ohnehin nicht umsetzbar in der Realität und wird es auch niemals geben, weil unsere Gesellschaft längst noch nicht so digitalisiert ist, wie sie es sein könnte. Wenn es nach den Virologen geht, so merkte Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Hauslauer dieser Tage an, dann – und er betonte, dass er jetzt übertreibe –, wollen sie die Menschen am liebsten einzeln in ihre Zimmer sperren, weil da können sie nicht anstecken und niemanden infizieren. Für diese Aussage wurde er scharf kritisiert, weil sie angeblich „wissenschaftsfeindlich“ sei – doch im Kern ist genau das die Aufgabe eines Politikers: Er muss Kompromisse finden. Denn es wird immer Virologen geben, die sagen werden, dass nur ein echter Lockdown helfen kann. Sie berücksichtigen bei ihrer Prognose aber lediglich jene Faktoren, die ihre Expertise betreffen. Die Touristik werden aber sagen, dass nur offene Ski-Lifte die Wintersaison retten können, von der tausende Arbeitsplätze abhängen. Die Pädagogen werden sagen, dass nur offene Schulen eine verlorene Generation retten können. Der Handel wird sagen, dass mindestens eine Grundversorgung aufrecht bleiben muss, um Paniken zu vermeiden. Und Ärzte werden sagen, dass die Spitäler am Limit sind.
Lockdown ist keine Lösung
Wirtschaftshilfen sind Steuergeld und damit Teil des Systems, das nur indem man es am Laufen hält, fortbestehen kann. Auch die Spitäler bekommen Mittel aus dem Steuergeld, etwa um weitere Kapazitäten zu schaffen. Auch der Impfstoff und die Testmöglichkeiten werden von der öffentlichen Hand finanziert. Doch auch wenn die EZB den Eindruck vermittelt – das Geld wächst nicht auf den Bäumen. Es muss zuvor erwirtschaftet werden. Wenn sich also Menschen öffentlich gegen einen Lockdown stemmen, dann nicht weil ihnen Menschenleben gleichgültig sind, sondern eben weil ihnen die Menschheit am Herzen liegt. Die Gleichung ist nicht so schlicht, wie manche glauben.
Anna Dobler ist eine mehrfach ausgezeichnete, ausgebildete und studierte Journalistin und Kolumnistin. Nach beruflichen Stationen in Berlin, München, Italien und Salzburg lebt und arbeitet sie mittlerweile in Wien. Auf Twitter setzt sich @Doblerin ein für freie Märkte und freie Meinung.
Kommentare
Nun bemisst sich die Wirtschaft ja irgendwie an der Börse. Nix schlimmes zu erkennen. Was wirklich vor die Hunde geht ist das Gesundheitssystem und die Menschen die darin arbeiten. Gucci Tasche im laden scheint kaufen zu können am besten ohne Impfung und ähnliches scheint aber wichtiger zu sein.
Sehr geehrte Frau Dobler,
wir haben es NICHT dem Kapitalismus zu verdanken, dass so schnell ein Impfstoff vorhanden war/ist, sondern der WISSENSCHAFT!
Natürlich ist ein Lockdown nie eine Lösung des Problems, doch wie sollten wir Menschenleben, welche diese Pandemie fordert, ansonsten rasch retten können?
Eine Impfung, welche nach wissenschaftlicher Erkenntnis die schwere des Verlaufs abschwächt und in sehr vielen (aber nicht allen) Fällen eine Erkrankung verhindert, wäre eine Lösung des Problems. Doch leider ist die Impfquote in diesem Land verschwindend gering (so wie das Vertrauen in die Wissenschaft – was jüngste Umfragen gezeigt haben).
Und noch etwas…Kranke bzw. Tote können keine Wirtschaftsleistung erbringen.
Klar bedeutet ein Lockdown kurzfristig auch Wirtschaftseinbußen. Jedoch tragen Corona-Tote oder Leute mit Long-Convid-Folgen erheblich zur (finanziellen) langfristigen Belastung der Wirtschaft bei. Dies sollte nicht außer acht gelassen werden.
Ja die Pensionisten, ich bin selbst einer und 2 mal geimpft und dankbar dafür. Wenn man unimpften Pensionisten
z.b das Weihnachtsgeld gestrichen hätte
dann wäre die gesamte Option dagegen
Sturm gelaufen und der OGH hätte das
Gesetz gekippt. Durch unterschiedliche
Interssen und dem veranwotugslosen Verhalten einiger verunsicherter oder
sturer Fanatiker wird der Impfschutz immer ausgehebelt. Und die Patient die in Opposition sind versuchen die Situation zu ihrem Vorteil zu nutzen.
Und weiter Unzufriedenheit und Versicherung zu verursachen.
Die bisherige (Über-)Förderung der Wirtschaft durch den Staat seit Corona-Ausbruch sieht mir nicht so wirtschaftsfeindlich aus – was wird hier geredet?
So einfach ist es leider nicht. Natürlich soll ein Lockdown nur nach gründlicher Abwägung aller Für und Wider erfolgen und kaum ein Politiker wird diese Entscheidung vorschnell treffen. Wir sind jedoch ein Tourismusmusland. Mit Infektionszahlen, die längerfristig deutlich über dem Europaschnitt liegen, weil andere Staaten die Inzidenzen mit Lockdowns im Rahmen halten, würde unsere Tourismuswirtschaft nicht überleben können und auch darüber hinaus das Konsumklima im Land deutlich leiden. Einmal Ischgl hat genug Schaden verursacht.
Eine ausgezeichnete Analyse der Situation in der wir und befinden. Die Politiker sind nicht in der Lage, diesen Kompromiss zu finden und umzusetzen, und das ist jetzt kein Vorwurf, denn ich habe auch keine Idee dazu. Außer natürlich, dass alle die medizinisch könnten, und das sind mehr als 95% der Bevölkerung, sich auch impfen lassen. Dann hätten wir das Ärgste hinter uns. Es ist aber nicht so und darum stehen wir wieder am Anfang dieses Artikels.
Persönliche Erfahrung: Die Bekannten von mir, die sich nicht impfen lassen, haben keine Nachteile zu erwarten, da sie z.B. Pensionisten sind und das Geld auch während eine Lockdowns ungeschmälert fließt. Jene die dem arbeitenden Teil der Bevölkerung zuzurechnen sind und durch die Lockdowns zumindest Gehaltkürzungen hinnehmen mussten oder die Pleite ihres Arbeitgebers zu befürchten haben, denen konnte die Impfung gar nicht schnell genug gehen. Ich schließe daraus, dass es jeder die Pandemie in der Geldbörse spüren muss, um ihn zum Impfen zu bewegen. In Italien, Portugal oder Spanien, wo die Auswirkungen für alle spürbar waren, sind die Impfraten wesentlich höher.
Bei 90% Impfquote und etwas Vorsicht (Masken tragen auch wenn sie nicht vorgeschrieben sind) hätten wir wahrscheinlich gar keine Diskussion über einen Lockdown notwendig.
Meine Entscheidung mich zu impfen war, dass ich nicht an Corona erkranken wollte mit den sogenannten Long-Corona-Auswirkungen und in Zukunft mit einer bschädigten Lunge keinen Sport mehr betreiben könnte. Ich habe das Risiko einer Impfung abgewogen, immerhin waren ja schon 3 Millionen meiner Mitbürger/innen geimpft, diese Abwägung viel eindeutig für die Impfung aus . Thats it.
Wahrscheinlich fühlen sich bei uns zu viele sicher, weil wir eh so viele Intensivbetten haben.
Ein ausgezeichneter Beitrag, der auch meiner Meinung entspricht! Vielen Dank, Frau Dobler!