Wenn es nach einer lauten Minderheit in unserer Gesellschaft geht, habe sich die Wirtschaft allen anderen Interessen stets unterzuordnen. Die steigenden Corona-Zahlen würden einen neuerlichen Lockdown rechtfertigen, weil immerhin müssen ja Menschenleben an oberster Stelle stehen. Diese Abwägung zwischen Tod und Kapitalismus ist freilich vollkommen schwachsinnig, weil ohne eine funktionierende Wirtschaft ein ziviles Leben gar nicht möglich ist und wie bereits in einer früheren Kolumne beschrieben, haben wir es überhaupt dem Kapitalismus zu verdanken, dass ein Impfstoff nicht nur sehr schnell verfügbar war, sondern auch reibungslos verteilt werden konnte. Freilich, die Forderung nach einem kompletten Lockdown kommt einem leichter über die Lippen, wenn die eigene Existenz nicht gefährdet ist, etwa weil die Zahlung staatlicher Transferleistungen davon erstmal nicht getrübt ist.

Die Wirtschaft, das sind in den Köpfen der Lockdown-Fetischisten jene da oben, die millionenschwer sind und den Bezug zur Lebensrealität verloren haben. Dabei sind die Wirtschaft wir alle: die Arbeitnehmer, die Mieter, die Konsumenten, die Autofahrer – ja selbst ein Kind ist Teil des wirtschaftlichen Kreislaufes. Kommt der zu erliegen, zerbricht auch das zivile Leben und zwar weit dramatischer als durch eine Überlastung des Gesundheitssystems. Nur mit Millionenausgaben konnten die Schäden, die durch die Lockdowns entstanden sind, einigermaßen behoben werden. Einigermaßen, wohlgemerkt. Ein guter Freund von mir ist deutsch-österreichischer Unternehmer in der Tourismusbranche, ein Selfmade-Millionär, der sich nach oben gearbeitet hat. Vor ein paar Wochen haben wir uns das erste Mal wieder getroffen seit einigen Jahren und ich erkannte ihn kaum wieder. Er war fast ein gebrochener Mann, der keinen Sinn mehr in seinem Leben sah, weil die Corona-Maßnahmen ihn fast in die Pleite getrieben haben. Der Fall ist zu komplex und zu privat, um ihn hier näher erläutern zu können, aber es ist schlicht ein Irrtum zu glauben, das irgendwelche Hilfszahlungen in allen Fällen greifen können. Was mich geschockt hatte, war sein Frust, den er auf die Regierungen hatte, weil er sie für seine Situation verantwortlich macht. „Sie können nichts dafür“, versuche ich zu beschwichtigen, „es ist unterm Strich die Schuld von dem Virus. „Ich weiß, aber lange halte ich das nicht mehr durch.“

Politiker müssen Kompromisse finden

Ein Lockdown kann nie eine Lösung sein, sondern ist stets die Kapitulation vor dem Problem. Erst wenn alle Maßnahmen ausgeschöpft sind, sollte überhaupt erst das Wort in den Mund genommen werden und nicht wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Menschen hängen, weil das lediglich zu Angst und Verunsicherung führt. Ein kompletter Lockdown ist ohnehin nicht umsetzbar in der Realität und wird es auch niemals geben, weil unsere Gesellschaft längst noch nicht so digitalisiert ist, wie sie es sein könnte. Wenn es nach den Virologen geht, so merkte Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Hauslauer dieser Tage an, dann – und er betonte, dass er jetzt übertreibe –, wollen sie die Menschen am liebsten einzeln in ihre Zimmer sperren, weil da können sie nicht anstecken und niemanden infizieren. Für diese Aussage wurde er scharf kritisiert, weil sie angeblich „wissenschaftsfeindlich“ sei – doch im Kern ist genau das die Aufgabe eines Politikers: Er muss Kompromisse finden. Denn es wird immer Virologen geben, die sagen werden, dass nur ein echter Lockdown helfen kann. Sie berücksichtigen bei ihrer Prognose aber lediglich jene Faktoren, die ihre Expertise betreffen. Die Touristik werden aber sagen, dass nur offene Ski-Lifte die Wintersaison retten können, von der tausende Arbeitsplätze abhängen. Die Pädagogen werden sagen, dass nur offene Schulen eine verlorene Generation retten können. Der Handel wird sagen, dass mindestens eine Grundversorgung aufrecht bleiben muss, um Paniken zu vermeiden. Und Ärzte werden sagen, dass die Spitäler am Limit sind. 

Lockdown ist keine Lösung

Wirtschaftshilfen sind Steuergeld und damit Teil des Systems, das nur indem man es am Laufen hält, fortbestehen kann. Auch die Spitäler bekommen Mittel aus dem Steuergeld, etwa um weitere Kapazitäten zu schaffen. Auch der Impfstoff und die Testmöglichkeiten werden von der öffentlichen Hand finanziert. Doch auch wenn die EZB den Eindruck vermittelt – das Geld wächst nicht auf den Bäumen. Es muss zuvor erwirtschaftet werden. Wenn sich also Menschen öffentlich gegen einen Lockdown stemmen, dann nicht weil ihnen Menschenleben gleichgültig sind, sondern eben weil ihnen die Menschheit am Herzen liegt. Die Gleichung ist nicht so schlicht, wie manche glauben.

Anna Dobler ist eine mehrfach ausgezeichnete, ausgebildete und studierte Journalistin und Kolumnistin. Nach beruflichen Stationen in Berlin, München, Italien und Salzburg lebt und arbeitet sie mittlerweile in Wien. Auf Twitter setzt sich @Doblerin ein für freie Märkte und freie Meinung.