Mein persönliches Verhältnis zum Feminismus ist seit geraumer Zeit schmerzlich gespalten. Früher habe ich mich als leidenschaftliche Feministin bezeichnet, genderte konsequent meine Mails, war uneingeschränkt für die Frauenquote und verfasste sogar meine Master-Arbeit im Bereich der Gender-Studies. Heute bin ich Realistin. Das, was mittlerweile unter dem identitätspolitischen Trend-Label Feminismus läuft, lässt mich nicht nur oftmals kalt – es widert mich bisweilen sogar an.

Vor einigen Tagen etwa stürmte rund ein Dutzend vermummter Aktivistinnen die Räumlichkeiten einer in Wien ansässigen Tageszeitung. Ärgerten sie sich über die vielen leicht bekleideten Damen auf den Titelseiten? Wollten sie dem Herausgeber aufgrund der gegen ihn im Raum stehenden Belästigungsvorwürfe einen Denkzettel verpassen? All das kam mir in den Sinn, als ich die ersten Minuten eines Videos der Aktion im Netz sah. Doch was meine Augen und Ohren dann vernahmen, schockte mich regelrecht.

Feminismus in Anführungszeichen

Die Zeitung war ins Visier dieser “Feministinnen” geraten, weil sie angeblich die Herkunft der Täter im Fall der kleinen Leonie überbetone. Bei den Tatverdächtigen handelt es sich bekanntermaßen um drei afghanische Asylbewerber, die laut ersten Ermittlungen der Polizei das Mädchen unter Drogen gesetzt und sexuell Missbraucht haben sollen. Die 13-Jährige überlebte das stundenlange Martyrium nicht.

Die Nationalität und die Biografie der Täter zu verschweigen, wäre glasklar Täuschung des Lesers. Denn wenn wir über Gewalt gegen Frauen sprechen, können wir nicht ausblenden, dass in patriarchalen Strukturen sozialisierte Männer ein anderes Verständnis vom Wert weiblichen Lebens haben, als das hierzulande der Fall ist. Wenn sich jetzt also Feministinnen schützend vor die Täter stellen aus Angst vor rassistischen Zwischentönen in der Debatte, müssen sie zumindest zugeben, dass sie die Interessen von Frauen anderen politischen Themen unterordnen. Das mag eine legitime Position sein – Feminismus ist es aber nicht.

Im Übrigen kann man den peinlichen Auftritt der Aktivistinnen auch als Angriff auf die Pressefreiheit werten – man stelle sich nur den umgekehrten Fall vor: Vermummte Identitäre stürmen in eine linke Redaktion, um dort lauthals zu fordern, dass man die Nationalität der Täter stärker betonen soll. Der Aufschrei wäre vollkommen rechtens groß.

Der Feminismus schafft sich ab

Schuld an dieser Entwicklung ist diese neue Generation Netz-Feministinnen. All diese Margas, Nicoles, Kathrins und Beatrices, die laut über Gendersternchen und Abtreibungen streiten und noch lauter über Verschleierung, Zwangsheirat und Ehrenmorde schweigen. Eine persönliche Zäsur war für mich das fast schon legendäre Streitgespräch zwischen Alice Schwarzer und Margarete Stokowski im Tagesspiegel 2019. Alles, was Schwarzer sagte, wirkte auf mich klug, durchdacht und richtig. Stokowski wirkte dagegen anmaßend und deplatziert.

Ab und an halte ich Bahnhofsbuchhandlungen die Werke von Stokowski in der Hand, eine Freundin von mir hat mir schon vor Jahren “Untenrum frei” wärmstens empfohlen – aber ich kann mich einfach nicht dazu durchringen, es zu lesen, während ich von Schwarzer fast alles verschlinge. Viele in meinem Alter lesen nur Marga und kaum Alice und wohin das führen kann, hat man neulich in den Räumlichkeiten einer in Wien ansässigen Tageszeitung gesehen.

Anna Dobler ist eine mehrfach ausgezeichnete, ausgebildete und studierte Journalistin und Kolumnistin. Nach beruflichen Stationen in Berlin, München, Italien und Salzburg, lebt und arbeitet sie mittlerweile in Wien. Auf Twitter setzt sich @Doblerin ein für freie Märkte und freie Meinung.