Ungarn schlägt angesichts der anbrandenden Migranten an seiner Südflanke Alarm. Zuerst brachte der Chefberater für innere Sicherheit von Premier Viktor Orbán, György Bakondi, das Thema Migrationsdruck aufs Tapet. Bakondi wies vor Kurzem im staatlichen Radio Kossuth darauf hin, dass bis Mitte Oktober nicht weniger als 225.000 illegale Migranten an der Grenze zu Serbien vom ungarischen Grenzschutz aufgegriffen worden seien. Zum Vergleich: 2021 seien im gesamten Jahr 122.000 illegale Grenzübertritte registriert worden.

Bakondi verwies auch darauf, dass unzählige Migranten sich deshalb im serbisch-ungarischen Grenzgebiet konzentrieren würden, weil Ungarn unter der Regierung Orbán die Grenze zu Serbien sehr streng bewache. Es gebe kaum ein Durchkommen. Nicht zuletzt deshalb ließen sich einige Migranten zu Frusthandlungen hinreißen. So sei es vorgekommen, dass ungarische Grenzschützer mit Waffen bedroht worden seien und der Grenzzaun zwischen Ungarn und Serbien immer wieder beschädigt werde.

Ein ungarischer Grenzpolizist greift illegale Migranten an der ungarisch-serbischen Grenze aufQuelle: Alfahir.hu

„Wenn die Situation in Europa schon schlecht ist, wird sie außerhalb des Kontinents noch viel schlechter sein“

Der Direktor des ungarischen Instituts für Migrationsforschung, Viktor Marsai, schlägt gegenüber der regierungsnahen Zeitung Magyar Nemzet jetzt ähnliche Töne an. Er macht darauf aufmerksam, dass die Zahl von Migranten seit der sognannten Flüchtlingskrise 2015/16 nie so hoch gewesen sei wie heute. Laut Marsai verschlechtert sich die Lage laufend. „Eins ist sicher: Die Inflation, der Hunger und die Energiekrise werden die Menschen außerhalb der europäischen Grenzen dazu bewegen, nach Europa zu strömen”, so der Migrationsexperte. Denn: „Wenn die Situation in Europa schon schlecht ist, wird sie außerhalb des Kontinents noch viel schlechter sein.“

Marsai beziffert die Zahl der Migranten, die sich an der ungarisch-serbischen Grenze tummeln, mit „mehreren Zehntausend“. Dass das Migrationsaufkommen zurzeit derart groß ist, führt er auf die globale Verschlechterung der sicherheitspolitischen Situation zurück. So sei etwa der Modernisierungsversuch des Westens in Afghanistan angesichts der Machtübernahme der radikal-islamischen Taliban jäh gescheitert. Deshalb seien zahllose Afghanen auf der Flucht, wobei Europa für sie die erste Anlaufstelle sei.

Der ungarische Premier Viktor Orbán sorgt dafür, dass die Südgrenze der EU dicht bleibtAPA

Viele illegale Migranten fliegen visumfrei von Indien oder Tunesien nach Serbien und sind stracks an der EU-Grenze

Marsai weiß auch: Es habe sich unter illegalen Migranten herumgesprochen, dass man aus vielen Ländern – unter anderem aus Indien und Tunesien – visumfrei nach Serbien fliegen kann. Die Migranten kauften die Flugtickets, landeten in Belgrad und seien binnen kurzem an der ungarisch-serbischen Grenze, die zugleich die Südgrenze der EU sei. „So können sie Zeit und Geld sparen“, so der Experte.

Marsai warnt auch davor, dass sich Hunderttausende Migranten in Richtung Europa losmarschieren könnten, sollte die Türkei ihre Grenzen öffnen. Wie der Experte erklärte, ist es aber wichtig zwischen den 3,8 Millionen Syrern und den 500.000 bis einer Million Migranten anderer Herkunft zu unterscheiden, die in türkischen Flüchtlingslagern untergebracht sind. Laut Erhebungen in der Türkei will ein Großteil der Syrer nicht nach Europa kommen. Anders ist die Einstellung der anderen Nationen. Afghaner, Iraner, Pakistaner und Iraker würden sofort nach Europa losziehen, würde die Türkei die Grenzen öffnen, so Marsai.