Dass es die Russen waren, die hinter dem Terror-Attentat auf die Nord-Stream-Pipelines standen, schien Ende September ausgemachte Sache zu sein – zumindest mit Blick auf sämtliche Medienberichte. Fast vier Monate später ist die Lage anders. Sowohl in Deutschland als auch in den USA häufen sich Stimmen, die an einem russischen Spionage-Akt zweifeln. Dabei handelt es sich um Persönlichkeiten, die „unverdächtig“ sind, ein besonderes Naheverhältnis zum Kreml zu pflegen.

Zweifel herrschen sogar in Berlin

Selbst „Leute im Berliner Regierungsbetrieb“ stellen „unter der Hand Fragen die für Unruhe in der Nato sorgen könnten“, berichtete Anfang Jänner die WirtschaftsWoche. Hätten nicht „die Ukraine und Polen mit größtem Nachdruck von Deutschland den Verzicht auf die Nord-Stream-Leitungen gefordert?“

Es war ein Terrorakt. Dahinter steht zumindest ein staatlicher Akteur. So viel steht fest.APA/AFP/Photo by Handout/DANISH DEFENCE

Dem CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter behagt das Ganze mittlerweile auch nicht mehr. Er verlangt erste Ermittlungsergebnisse, „weil die wilden Spekulationen in dieser unklaren Situation nicht ungefährlich sind“. Auch der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Grünen-Politikerin Konstantin von Notz, fordert: Die Bundesregierung müsse „Transparenz schaffen oder wenigstens eine plausible Erzählung der Ereignisse vom 26. September vorlegen“.

Eine plausible Erzählung, in der Russland der Urheber ist, die wollen mittlerweile selbst US-Medien immer weniger erkennen. Kürzlich ließ die „Washington Post“ mit einem brisanten Bericht aufhorchen: „Kein schlüssiger Beweis, dass Russland hinter dem Nord Stream-Anschlag steckt“, titelte sie.

Mittlerweile haben die Reparaturarbeiten begonnen.APA/AFP/John MACDOUGALL

„Russland möglicherweise doch nicht schuld“

Der Bericht kreiste um den – dürftigen – Stand der Untersuchungen. Die wenigen Ergebnisse, von denen aber die US-Zeitung berichtet, weisen nicht in Richtung Moskau. „Nach monatelangen Ermittlungen, sagen zahlreiche Beamte insgeheim, dass Russland möglicherweise doch nicht die Schuld an dem Angriff auf die Nord Stream-Pipelines trägt“, heißt es im Artikel. Sämtliche diplomatische und Geheimdienstmitarbeiter in Europa würden nach wie vor keinen Beweis für einen Sabotage-Akt Moskaus sehen.

Am 26. September hatten drei Explosionen vier Lecks an den Pipelines Nord Stream 1 und 2 verursacht. Dass dahinter ein staatlicher Urheber steckt, gilt als sicher, und zwar aufgrund der Menge an Sprengstoff, die verwendet wurde. Die Spurensicherung soll sich aber schwierig gestalten. Es gibt aber auch noch Ermittlungswege, und auf denen stößt man ebenfalls nicht auf den Kreml.

Abhörmaßnahmen bleiben ergebnislos

So fangen die US-Geheimdienste auch routinemäßig die Kommunikation russischer Beamter und Militärs ab. So konnte auch Russlands Invasion in die Ukraine relativ präzise prognostiziert werden. Ganz anders sieht es bei den Nord Stream Explosionen aus: „Bisher haben die Analysten noch keine Erklärungen von russischer Seite gehört oder gelesen, in denen sie die Lorbeeren für sich beanspruchen oder andeuten, dass sie versuchen, ihre Beteiligung zu vertuschen, so die Beamten.“ Dies sei höchst ungewöhnlich.

Ein westeuropäischer Beamter sagt offen: „Die Begründung, dass es Russland war, das die Pipelines angegriffen hat, hat für mich nie einen Sinn ergeben.“

Erst zerstören, dann wieder reparieren: Dass das in Moskaus Interesse ist, leuchtet immer weniger Beobachtern ein.METZEL/Sputnik/AFP via Getty Images

Anschlag hat Lage für Moskau nicht verbessert

Schließlich legte auch die „New York Times“ nach. Ihr zufolge beginnt sich die russische Nord Stream AG um die Reparatur der Leitungen zu kümmern – der eXXpress berichtete. Dies habe eine Person mit detaillierter Kenntnis über die Vorgänge berichtet. Die Kosten sollen nach ersten Schätzungen rund eine halbe Milliarde Dollar betragen. Auch die Times bekannte offen: Es leuchte nicht wirklich ein, dass Russland eine Erdgasleitung zerstöre, nur um sie danach für viel Geld wieder instand zu setzen: „Die Theorie, dass Russland für die Explosionen verantwortlich ist, ist nur noch komplizierter geworden.“

Darüber hinaus muss Moskau weiterhin Transitgebühren für die jetzigen Erdgaslieferungen zahlen – und zwar an den Kriegsgegner, die Ukraine. Auch habe sich Russlands Verhandlungsposition durch die Zerstörung nicht gebessert, räumt die Times ein. Gleichzeitig könnte Europa schon sehr bald wieder Interesse an russischem Gas zeigen, wie Experte meinen.

Eine unangenehme Frage steht damit im Raum: Wenn es nicht die Russen waren, die hinter dem Anschlag stehen, wer war es dann?