Mit Forderungen nach einer Änderung des europäischen Asylsystems ließ erst kürzlich Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) aufhorchen. Nun verlangen das erstmals auch Politiker in Deutschland.

Sämtliche deutsche Kommunen sind am Limit, klagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Er bringt ebenfalls eine Reform des Asylsystems in Spiel. Entscheidend seien „konsequente Kontrollen an den Außengrenzen und eine massive Verstärkung von Frontex“. Asylverfahren müssten bei der Erstankunft stattfinden, Abgelehnte sofort in ihre Heimat zurückgeschickt werden, den Anerkannten sollten die EU-Länder solidarisch helfen.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) fordert Reform des Asylrechts in Europa.APA/AFP/Christof STACHE

„Deutschland ist am Rand seiner Aufnahmefähigkeit“

Herrman spricht gegenüber der „Welt am Sonntag“ von einem „massiven Anstieg illegaler Migration“. Deutschland komme „wieder an den Rand seiner Aufnahmefähigkeit. Man hört ja Hilferufe aus allen Teilen des Landes.“ Beamte aus verschiedenen Ausländerbehörden bestätigten, man habe vielerorts die Obergrenze der Aufnahmekapazitäten erreicht.

Armin Schuster (CDU) schlägt Alarm: Sämtliche Kommunen in Deutschland sind an ihren Grenzen angelangt und könne nicht noch mehr Migranten aufnehmen.APA/AFP/POOL/Markus Schreiber

Ähnliches berichtet Sachsens Innenminister Schuster (CDU). Er verlangt unter anderem Rückführungsinitiativen und eine Ausweitung des EU-Türkei-Abkommens auf weitere Herkunftsländer. Für die Akzeptanz des Asylsystems sei „die Abschiebung von Ausreisepflichtigen unerlässlich“. Schuster warnte: „Wenn wir die Balance von Humanität und Ordnung verlieren, ist das deutsche Asylsystem immer mehr in Auflösung begriffen.“

Nehammer: „Das europäische Asylsystem ist gescheitert“

Ebenso hatte am 23. November Bundeskanzler Karl Nehammer in Zagreb erklärt: „Das europäische Asylsystem ist gescheitert.” Er forderte ebenfalls eine Zurückweisungsrichtlinie, um Asylwerber aus sicheren Herkunftsstaaten schneller zurückweisen zu können. Solange die Außengrenzen „mangelhaft oder nicht geschützt sind“, könne auch nicht die Schengen-Erweiterung stattfinden. „Das geht sich aus unserer Sicht, aus österreichischer Sicht, so nicht aus”.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sieht das EU-Asylsystem am EndeAPA/GEORG HOCHMUTH

Österreich und Deutschland erleben beide ein Rekordjahr: Selbst im Flüchtlingsjahr 2015 haben in beiden Ländern nicht so viele Menschen Zuflucht gesucht.

Deutschland hat besonders viele Ukrainer aufgenommen

890.000 Migranten kamen im Flüchtlingsjahr 2015 nach Deutschland. Rund 1,2 Millionen Menschen werden es heuer bis zum Jahresende sein. Im Unterschied zu Österreich verdankt Deutschland diese Steigerung primär den Ukraine-Vertriebenen, die – so wie in Österreich – eine Aufenthaltserlaubnis ohne Verfahren erhalten. Seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine ist mehr als eine Million Menschen aus dem umkämpften Land in die Bundesrepublik geflohen.

Hinzu kommen laut „Welt am Sonntag“ noch 181.612 Asyl-Anträge bis Ende Oktober, meist von Syrern, Afghanen, Türken und Irakern. Bis Jahresende sollen mehr als 200.000 sein.

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) forderte kürzlich u.a. EU-Polizeieinsätze zwecks Grenzschutz, Asylverfahren in Drittstaaten und eine „Zurückweisungsrichtlinie“ für Migranten aus sicheren Drittstaaten.APA/GEORG HOCHMUTH

Nur Zypern hat pro Kopf noch mehr Migranten als Österreich

In Österreich sind aktuell 78.000 Vertriebene aus der Ukraine registriert. Doch selbst ohne diese Zahl erlebt Österreich bereits einen Rekord bei den Asylwerbern. 88.340 Anträge wurden 2015 im Zuge der Flüchtlingswelle in Österreich gestellt. Bis November 2022 waren es bereits mehr als 100.000 (die exakte Zahl feht nicht), bis Jahresende werden es voraussichtlich 120.000 sein. Nirgendwo sonst in Europa – mit Ausnahme Zyperns – ist die Pro-Kopf-Belastung bei Flüchtlingen so hoch. Österreich kommt auf 348 Asylwerber pro 100.000 Einwohner. In Deutschland sind es 117.

In Österreich ist Zahl neuer Migranten erstmals im neuen Jahrtausend sechsstellig. Zum Vergleich: In den Jahren von 2004 bis 2014 lag der Jahresdurchschnitt bei 17.200. Aktuell werden pro Woche mehr als 4000 Anträge gestellt, meistens von Afghanen, Syrern, Indern und Tunesiern.