Es sind bedrohliche, dystopisch anmutende Szenarien, die der Außenpolitik-Experte Ralph Schöllhammer in “10 vor 8” eXXpress-Chefredakteur Richard Schmitt schildert. Doch sie sind vielerorts bereits Realität. Afghanistan wird demnach zum neuen Unruheherd, bei dem sich sämtliche Großmächte einbringen. Eine neue Flüchtlingswelle aus dem Land ist im Gange und die Taliban sind kurz davor, wieder an die Macht zu gelangen. Von der westlichen Präsenz im Land wird nichts übrig bleiben. Europaweit werden aber Predigten in den Moscheen den Mut der Kämpfer in Afghanistan preisen. Und die demographische Entwicklung werde den sozialen Frieden in Europa gefährden, sofern sich der wachsende Teil der Muslime nicht integrieren wird.

Schöllhammer ist Assistenzprofessor für Volkswirtschaftslehre und Internationale Beziehungen an der Webster Privatuniversität Wien. Um 19:50 kann man sich das gesamte Interview auf eXXpress TV ansehen.

"In einem Jahr wird es in Afghanistan so aussehen, als wäre der Westen nie dort gewesen"

“Nach 20 Jahre Präsenz des Westens in Afghanistan wird das Land in einem Jahr so aussehen, als wäre man nie dort gewesen”, unterstreicht der Außenpolitik-Experte. Die Hoffnung auf Liberalisierung sei herb enttäuscht worden. “Freiheit und liberale Weltsicht sind etwas, das erlernt werden muss.”Um eine Liberalisierung durchzusetzen hätte es – der Wissenschaftler wählt hier gewagte Worte – eines “Kulturimperialismus” bedurft, einer Umerziehung, wie sie die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg im ehemaligen Nazi-Deutschland und in Japan betrieben haben.

Taliban erobern das gesamte Land zurück, neue Flüchtlingsbewegungen haben bereits begonnen

Mittlerweile haben die Taliban 250 von 400 afghanischen Provinzen zurückerobert. Sie wussten eben von Anfang an: Sie können mit den Amerikanern zwar nicht technologisch mithalten, aber dafür haben sie alle Zeit der Welt. Jene Afghanen, die den Amerikanern vertraut haben – Dolmetscher etwa – sind nun der Rache der Taliban ausgeliefert. Fluchtbewegungen stehen bevor, oder sind bereits im Gange: Allein innerhalb Afghanistans sind drei Millionen Menschen auf der Flucht. Viele fliehen zurzeit nach Tadschikistan, von wo bereits eine Bitte an Russland ergangen ist, die Militärpräsenz dort zu verstärken.

Ein kulturell-ideologischer Konflikt steht bevor: Freitagspredigten werden furchtlose Muhadideen preisen

Überspitzt formuliert sei Afghanistan ein bisschen wie Sarajevo vor dem Ersten Weltkrieg: Wegen der vielen Rohstoffe in dem Raum werde auch China bereits aktiv. Man erlebe hier eine Konzentration von Großmachtinteressen.

Gleichzeitig stehe ein kulturell-ideologischer Konflikt bevor, besonders in Europa: “Von Madrid bis Moskau wird gepredigt werden: ‘Die furchtlosen Mujahideen haben nicht nur die Russen in den 1980er Jahren besiegt, sondern jetzt auch die Amerikaner.’ Das ist ein riesiger Propagandaerfolg.”

Wien: Zwischen 2030 und 2050 werden die meisten Unter-15-Jährigen Kinder Muslime sein

Essenziell für die Zukunft sei, dass die Integration der Muslime gelinge. In England ist die Bevölkerung von 2001 bis 2016 um 10 Prozent gewachsen, die muslimische Bevölkerung hingegen um 107 Prozent. Ähnliche Zahlen liefert das Vienna Institute for Demography an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften für Wien: Zwischen 2030 und 2050 werde es bei den Unter-15-Jährigen eine muslimische Mehrheit geben: “Wenn der jüngste und am schnellsten wachsende Block nicht integrierbar ist, kann das für den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft nicht gut sein – völlig unabhängig davon, wie man zum Islam steht.”