Über mehr als drei Jahre hinweg war Baerbock Stipendiatin der den Grünen nahe stehenden Stiftung. Während ihres unvollendet gebliebenen Promotionsstudiums von April 2009 bis Dezember 2012 hatte Baerbock aber gleichzeitig vier Ämter bei ihrer Partei inne, wie etwa auf Wikipedia nachzulesen ist. Damit dürfte sie gegen die allgemeinen Richtlinien für Begabtenförderungswerke verstoßen haben, an die sich parteinahe Stiftungen bei der Vergabe von Stipendien halten müssen. Gemäß den Punkten 1.8.4 und 1.8.5 ist eine Förderung ausgeschlossen, „während einer Erwerbstätigkeit von mehr als einem Achtel der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit“, und „während einer anderen Tätigkeit, die die Arbeitskraft des Geförderten überwiegend in Anspruch nimmt“. Beide Punkte gelten heute und ebenso schon damals .

Bruch mit Regeln des Bildungsministeriums

Dass vier grüne Parteiämter mehr als die Hälfte von Baerböcks Arbeitszeit in Anspruch genommen haben, erscheint naheliegend. Während Baerbock ihre Dissertation fertig stellen sollte, war sie gleichzeitig Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Europa (2008–2013), Vorstandsmitglied der Europäischen Grünen Partei (2009–2012), Landesvorsitzende der Brandenburger Grünen (2009–2013) und Mitglied im Parteirat der Grünen (2012–2015). Ihre Dienstverträge liegen nicht vor, wohl aber ein Finanzbericht der Grünen in Brandenburg von der 30. ordentlichen Landesdeligiertenkonferenz aus dem Jahr 2011, wo es heißt: „Die Landesvorsitzenden arbeiten ehrenamtlich, geben aber weit mehr als 50 Prozent ihrer Arbeitszeit für den Landesverband“. Wenn Baerbock mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit dem Landesverband gewidmet hat, widerspricht das auf jeden Fall den Regeln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Der Haushalt für 2013 sieht übrigens für die Landesvorsitzende dann ein Gehalt von 63.800 Euro vor.

Viele offene Fragen zur Dissertation

Rätsel gibt Baerbocks unvollendetes Dissertationsprojekt auch sonst bis heute auf. Ihr Doktorvater ist unbekannt. Was der Sprecher der Böll-Stiftung Michael Álvarez Kalverkamp auf Anfrage des eXXpress aber unterstreicht: Annalena Baerbock habe in der Phase ihres Stipendiums alle Vorgaben immer erfüllt, somit am vorgesehenen Bildungsangebot der Stiftung teilgenommen und stets in Berichten über ihren Forschungsverlauf informiert. Um ein Stipendium zu erhalten, hatte Baerbock darüber hinaus ein Exposé vorlegen müssen. Nun ist über Baerbocks Dissertation nicht viel mehr bekannt, als das, was sie dem Tagesspiegel Ende 2013 mitgeteilt hat: „Fast fertig“ sei die Promotion in Völkerrecht gewesen, „Naturkatastrophen und humanitäre Hilfe“ sei das Thema gewesen.

Wer nun nach Dissertationen und wissenschaftlichen Arbeiten zu eben diesem Thema sucht und die Begriffe „Naturkatastrophen“ und „humanitäre Hilfe“ eintippt – beispielsweise im Katalog der deutschen Nationalbibliothek – der stößt auf eine einzige Dissertation zu diesem Thema : Sie stammt von Matteo Garavoglia, hat exakt denselben Titel (nur auf Englisch) und wurde in Politikwissenschaft verfasst. Und: Sie wurde an eben jener Universität, an der Baerbock immatrikuliert war ­– der Freien Universität Berlin – verfasst und exakt in jener Zeit fertig gestellt, nämlich im Jahr 2012.

Bemerkenswerte Zufälle

Auch wenn es eine politikwissenschaftliche Arbeit ist, und keine völkerrechtliche, bleiben die Überschneidungen auffällig. Der einzige von Baerbock gegenüber dem „Tagesspiegel“ erwähnte Inhalt ihrer Arbeit – der Zyklon in Birma im Jahr 2008 mit 80.000 Toten – wird in jener Dissertation ebenfalls behandelt. Der „Zufall“ ist schon bemerkenswert: genau zur selben Zeit an der selben Uni wird eine Doktorarbeit mit einem identischen Titel fertig gestellt – und sonst nirgendwo, an keiner einzigen Uni in Deutschland, weder zuvor noch danach. (Wer weitersucht stößt noch auf einen zweiseitigen wissenschaftlichen Artikel zu diesem Thema am Beispiel Haiti, aber das ist es dann auch schon.)

Eine triviale Erklärung wäre: Garavoglia und Baerbock kannten einander und haben damals beschlossen, dasselbe Thema aus unterschiedlichen Perspektiven zu erforschen. Doch Garavoglia widerspricht: “Ich habe noch nie mit Frau Baerbock gesprochen oder sie getroffen.“ Eine andere Möglichkeit: Die Doktorväter von Baerbock und Garavoglia waren beide am Thema interessiert und unterstützten daher Promotionsvorhaben darüber. Doch davon erwähnt Garavoglias Doktorvater, der Politologe Thomas Risse, in einem jüngst erschienenen Artikel der „Süddeutschen Zeitung“ nichts.

Wer sich für Baerbocks wissenschaftlichen Leistungen interessiert, der wird hier dann wohl an einen „unglaublichen Zufall“ glauben müssen – und feststellen: Baerbock hat keinen Bachelor, sehr wohl aber eine Masterarbeit an der London School of Economics verfasst, die wir bis heute nicht kennen, eine „fast fertige“ Dissertation, von der jede Spur fehlt, einen bis jetzt ebenfalls verschollenen Doktorvater und zuletzt ein tatsächlich vorliegendes Sachbuch, in dem Stefan Weber aber mehr als 40 Plagiatsfragmente gefunden hat.