Die Ereignisse im Ukraine-Krieg überschlagen sich – aus der “Osterruhe”, die sich beide Seiten, sowohl Ukrainer als auch Russen, gewünscht hatten, da an diesem Wochenende russisch-orthodoxe Glaubensgemeinschaft die Auferstehung Christi feiert, ist nichts geworden. An ihrer statt wurden am Samstag erneut schwere Angriffe im Osten der Ukraine – Teil der massiven Großoffensive Russlands – gemeldet. Odessa, die drittgrößte Stadt der Ukraine, wurde von Cruise-Missile-Raketen getroffen, die schwere Zerstörungen nach sich zogen und das Leben von 6 Menschen forderten und etliche weitere verletzten – unter den Toten war auch ein drei Monate altes Baby.

Diese neuen Angriffe, zusammen mit dem Umstand, dass in Mariupol auch nach Putins “Erfolg” in der Hafenstadt und seinem Befehl an seine Truppen, die Angriffe einzustellen, nach wie vor Zivilisten und Soldaten gleichermaßen eingekesselt sind und eine Evakuation nach wie vor unmöglich ist, setzen auch Wolodymyr Selenskyj zusehends mehr zu. Daraus machte der Präsident der Ukraine auch im Rahmen der besonderen Pressekonferenz, die er am Samstagabend gab, kein Hehl – er wurde zunehmend emotionaler und addressierte schließlich auch ein Ultimatum an den russischen Aggressor.

Umringt von Journalisten, mitten im U-Bahn-Tunnel: So fand am Samstagabend die Pressekonferenz von Wolodymyr Selenskyj stattTwitter

Selenskyj trotz versuchter Vergiftungen gesprächsbereit

Selenskyj sprach in einer U-Bahn-Station zu einer Schar an Journalisten, der “Guardian” übertrug die Konferenz live. Der Ort der Konferenz war sehr bewusst gewählt – waren und sind es doch die Gemäuer der U-Bahn-Stationen, die tausenden von Menschen im Zuge des Kriegs, der in Nacht auf Sonntag über zwei Monate lang gedauert haben wird, ein wenig Schutz boten. Auch nach zwei Monaten scheint die Aussicht auf Frieden in weiter Ferne – im Gegenteil. Weitere Offensiven Russlands scheinen sicher. Dennoch zeigte sich Selenskyj für Gespräche bereit, wie er zu Beginn der Pressekonferenz klar zu verstehen gab.

Keine Selbstverständlichkeit, nach dem, was einigen Mitgliedern eines ukrainischen Verhandlungsteams nach einem Treffen mit einer russischen Delegation jüngst widerfahren war – sie wiesen Vergiftungssymptome auf. Selenskyj nannte dies “versuchte Morde”. Von Journalisten gefragt, ob er selbst nun Angst habe, meinte er, dass er kein Recht dazu habe, auch wenn sich seine Familie natürlich um ihn sorge. Immerhin hätten die Ukrainer gezeigt, dass sie vor nichts Angst haben. “Dass sie Angst um ihre Kinder haben, stimmt natürlich, aber Leute stellen sich Panzern mit ihren bloßen Händen entgegen.”

Wolodymyr Selenskyj beantwortete Fragen der Journalisten...Twitter

"Bastarde": Selenskyj wird wegen getötetem Baby und Kindern in Mariupol emotional

Während er persönliche Ängste nicht zulassen will, ließ Selenskyj dafür seinen Emotionen – Wut und Trauer gleichermaßen – angesichts der täglich neuen Kriegsverbrechen in der Ukraine freien Lauf. Angesichts der jüngsten Angriffe auf Odessa, insbesondere in Gedanken an das getötete Baby, kann er nicht umhin, die Verantwortlichen als “Bastarde” zu beschimpfen: “Der Krieg hat begonnen, als dieses Baby ein Monat alt war. Kann man überhaupt glauben, was hier passiert? Sie sind einfach nur Bastarde. Man kann es nicht anders sagen. Sie sind einfach Bastarde.”

...und wurde angesichts der jüngsten Kriegsverbrechen hochemotionalTwitter

Ultimatum für Putin

Und auch Mariupol macht dem Präsidenten Sorgen – denn auch wenn Putin die Stadt als “Erfolg” deklariert hatte und sie tatsächlich so gut wie völlig dem Erdboden gleich gemacht wurde, befinden sich immer noch Menschen in der letzten Bastion der Ukrainer, dem Asow-Stahlwerk. Darunter neben Verteidigern auch etliche Kinder. Und es kommt noch schlimmer: Nachdem am Samstag neue Aufnahmen der Kinder, die um nichts weiter baten, als die Sonne wieder zu sehen, auftauchten, erreichten die Welt indessen Meldungen, dass eine Evakuierung Mariupols einmal mehr gescheitert sei und russische Soldaten weiterhin auf das Asow-Stahlwerk feuerten.

Mariupols unsicheres Schicksal könnte auch weitreichende Folgen für den weiteren Verlauf des Krieges haben. Denn auch dort droht nun, wie zuvor bereits im Osten der Ukraine, die Abhaltung von “Unabhängigkeitsreferenden” um die Regionen von der Ukraine abzuspalten. Sollte das wirklich passieren, und / oder Russland auch nur einen einzigen der Verteidiger Mariupols – oder gar Zivilisten – töten, will Selenskyj sämtliche Friedensverhandlungen unwiderruflich abbrechen. Das wäre das endgültige rote Tuch für die Ukraine.

Aber auch wenn dies nicht geschehen sollte, betonte Wolodymyr Selenskyj, dass den Krieg nur beenden könne, wer ihn begonnen hat. Am Sonntag, dem “Zweimonatstag” des Krieges in der Ukraine, soll es ein Treffen zwischen US-Außenminister Antony Blinken und Selenskyj geben.