Osteuropas Politiker sind noch immer schwer verärgert über Deutschlands Alleingänge in der Vergangenheit – Stichwort: Gas aus Russland. Darüber hinaus fordern Sie mehr Unterstützung von Deutschland für die Ukraine, die bisherige Hilfe sei ungenügend. Dass sich Berlin weigert, den Import von russischem Gas und Öl zu beenden, nehmen sie Deutschland besonders übel. All das bekommt die deutsche Regierung nun in aller Deutlichkeit zu spüren.

Unfassbare Kriegsgräuel in Borodjanka

Die Präsidenten Polens und der baltischen Staaten haben am Mittwoch die schwer vom Krieg gezeichnete ukrainische Stadt Borodjanka unweit von Kiew besucht. Ursprünglich hätten sie die Reise zu fünft absolvieren sollen, doch Deutschlands Bundespräsident Frank-Walter Steinemeier war von Kiew ausgeladen worden. In Deutschland ist man darüber noch immer entsetzt.

In Borodjanka “wurden ukrainische Zivilisten ermordet und gefoltert und Wohnhäuser und andere zivile Infrastruktur bombardiert”, berichtete der litauische Präsident Gitanas Nauseda. “Es ist schwer zu glauben, dass solche Kriegsgräuel im Europa des 21. Jahrhunderts verübt werden können, aber das ist die Realität.” Es sei ein Krieg, “den wir gewinnen müssen”.

SPD empört über diplomatischen Affront Kiews

Polen hatte zuvor bekannt gegeben, dass Nauseda und seine Kollegen – der polnische Präsident Andrzej Duda, Alar Karis aus Estland und Egils Levits aus Lettland – in der polnischen Stadt Rzeszow nahe der ukrainischen Grenze zusammengekommen waren, bevor sie in einen Zug nach Kiew stiegen. “Unsere Länder zeigen auf diese Weise ihre Unterstützung für die Ukraine und Präsident Selenskyj”, teilte ein Berater Dudas auf Twitter mit.

Das Verhältnis galt als durchaus herzlich: Russlands Präsident Wladimir Putin (l.) begrüßt Deutschlands damaligen Außenminister Frank-Walter Sternmeier (r.) am 23. März 2016 im Kreml.Foto von Mikhail Svetlov/Getty Images

Dass die Ukraine eine Visite von Bundespräsident Steinmeier ablehnte, machte ganz besonders die deutsche Kanzlerpartei SPD fassungslos. Der langjährige frühere Außenminister (2005-09 und 2013-17) wird wegen seiner Russland-freundliche Politik kritisiert. Nach Beginn der russischen Aggression gegenüber der Ukraine hat er öffentlich Fehler eingeräumt. In der Ukraine ist er aber weiterhin äußerst unbeliebt.

Will Osteuropa Deutschlands Stellung schwächen?

Selenskyjs Ausladung von Steinmeier war bereits eine Ohrfeige. Dass vier Präsidenten nun ohne Steinmeier in die Ukraine reisten, bezeichnet Focus-Online-Korrespondent Ulrich Reitz als zweite “Ohrfeige”, diesmal von Seiten des polnischen Präsidenten, der an dem Besuch dennoch festgehalten hat. Die Ohrfeige “konnte aus zwei Gründen stattfinden: Erstens teilt die polnische Regierung das Urteil Selenskyjs über die zaudernden Ex-Putin-Freunde in Berlin. Und zweitens ist es für die Polen eine willkommene Gelegenheit, um den Deutschen vor Augen zu führen, dass deren außenpolitische Rolle in Europa an ihr Ende gekommen sein könnte.”

Somit sei Reise der Osteuropäer – ohne Steinmeier – “auch eine Art Demonstration. Die unausgesprochene Botschaft lautet: Nun könnt ihr alle es sehen, die Gewichte in Europa haben sich verschoben, weg von Deutschland, hin zu uns. Es ist auch eine Quittung für die deutschen Alleingänge, denn: in Polen und in der Ukraine ist der Versuch der deutschen Politik und der deutschen Wirtschaft gleichermaßen unvergessen, über die Putin-Schröder-Pipeline zu seinem eigenen wirtschaftlichen Wohl Geopolitik zugunsten Russlands zu Lasten der Osteuropäer zu machen.”