Letztens gab es in der Familie eine aufgeregte Diskussion über meine Zeitschriftenabonnements. Dazu muss man wissen, dass ich eine Anzahl ungewöhnlicher Printmedien beziehe, die man im österreichischen Handel nicht erhält. Darunter sind Titel wie das „Neue Deutschland“, früheres Zentralorgan der SED in der DDR, die „Junge Freiheit“, ein rechts-konservatives Wochenblatt, „Bahamas“, ein Magazin aus der Szene der sogenannten antideutschen Linken und „Sezession“, eine Schrift des Rechts angesiedelten Instituts für Staatspolitik, bei dem Götz Kubitschek Chefredakteur ist. Hinzu wird demnächst die „Junge Welt“ kommen, eine Tageszeitung, die der deutschen Kommunistischen Partei nahesteht, da ich keine Lust habe, durch die halbe Stadt zu einer der wenigen Verkaufsstellen zu fahren, wo man sie bekommt.

Ängste vor den Folgen der eigenen Meinung

Meine Familie hat Angst, dass der Briefträger mich bei radikalen Linken denunzieren könnte und mich dann eventuell die Antifa vor dem Haus abpasst und vor den Augen unserer Kinder verprügelt. Die Antifa die ich persönlich ja für eine Ansammlung kleinbürgerlicher Witzfiguren aus gutem Hause halte, also für verwöhnte Leistungsverweigerer aus Akademikerfamilien, die ihre begründeten Abstiegsängste dadurch zu kompensieren versuchen, dass sie rechtschaffene Bürger denunzieren, um deren Ruf zu schädigen, ist bei uns zu Hause stark emotional besetzt, da ich von der Karnevalstruppe, die sich bei Demos bekanntlich gerne hinter mit allerlei sinnlosen Sprüchen angeschmierten Bettlaken versteckt, schon einmal bedroht wurde.

Man muss aufpassen, was man sagt

Der geschilderte Sachverhalt wäre nicht weiter bemerkenswert, würde er nicht einen wichtigen allgemeinen Aspekt unserer Gegenwart symbolisieren, nämlich das Aushebeln des verfassungsmäßigen Rechts auf freie Meinungsäußerung durch die strukturelle und manifeste Gewalt linksradikaler Rollkommandos und den verbalen Terror der von „wokeness“  getriebenen Kampftruppen auf Twitter, die alle jene durch Denunziation um Job und Einkommen zu bringen versuchen, die auf ihr regressives „Man darf das nicht, man tut das nicht“-Geschwätz nicht sofort mit Widerruf und Sühneritualen reagieren. Man kommt nicht umhin festzustellen, dass die kleinbürgerliche Neo-Linke sehr starke Ähnlichkeiten mit der christlichen Scheiterhaufenreligiosität des Mittelalters aufweist, zum Glück fehlt ihr aber noch die Exekutivgewalt, um ihre grausamen konformistischen Urteile und Strafen auch legal zum Vollzug bringen zu können. Dass sich heute in manchen mitteleuropäischen Ländern viele Menschen nicht mehr zu sagen trauen, was sie sich denken, ist evident. So hat das Institut Allensbach schon im Jahr 2019 eine Studie für Deutschland veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass 63 % der Deutschen davon überzeugt sind, dass man heute bei bestimmten Themen genau aufpassen müsse, was man sagt. 68 % waren zudem auch der Überzeugung, dass es heute nicht gefahrlos möglich ist, etwas „Schlechtes“ über Ausländer zu sagen. Die Studie trägt den bezeichnenden Titel „Grenzen der Freiheit“.

Die Rolle der Medien

Nach einer Theorie der Wissenschaftlerin Elisabeth Noelle-Neumann nennt man dieses Phänomen „Schweigespirale“. Es tritt bei einer bedrohlichen gesellschaftlichen Stimmung auf, die Menschen hemmt, ihre Meinung offen auszusprechen. Stimmungen werden in der Postmoderne überwiegend durch Massenmedien erzeugt. Massenmedien sind in der Regel Produkte der journalistischen Meinungseliten. Die Medien verbreiten angeblich repräsentative Meinungen, die in Wirklichkeit aber eine elitären Minderheit vertritt. An dieser Stelle möchte ich noch einmal kurz auf meinen ungewöhnlichen Zeitschriftenkonsum zurückkommen. In Medien der linken und rechten Ränder findet man häufig Informationen, die die elitären Massenmedien verschweigen. So bin ich vor allem durch das Kommunistenblatt „Junge Welt“ auf die Konflikte aufmerksam geworden, die zwischen der Regierung von Brandenburg, Tesla und Bürgerinitiativen gerade toben, weil Tesla für seine Batterieproduktion Unmengen von Wasser braucht und im schlimmsten Fall das unterirdische Wasserreservoir der Großstadt Berlin, auf dem das neue Tesla-Werk steht, absaugen und der deutschen Hauptstadt so ein veritables Trinkwasserproblem bescheren könnte. Über Streiks beim Fahrradbotendienst Monster in Berlin, der überwiegend Migranten beschäftigt und diese nicht wie Menschen, sondern wie mobile Waren behandelt, habe ich durch das Neue Deutschland erfahren.

Ängstliches Schweigen breitet sich weiter aus

Die Schlafwagengewerkschafter des ÖGBs reden über solche Konflikte nicht gerne. Sie wollen mit dem global agierenden digitalen Kapital eine Sozialpartnerschaft aufziehen, wie sie es mit dem nationalen Kapital getan haben, wissen aber offensichtlich nicht, dass es zum Beispiel in den USA bei ganz Amazon keine gewerkschaftliche Vertretung gibt und jeder aus der Belegschaft, der dafür eintritt, sofort entlassen wird. Wenn sie dann einmal mit einer Abordnung der aggressiven Anwälte von Bezos oder Musk zusammentreffen, werden sie mit den Ohren schlackern und sich zitternd in ihre Tintenburg an der neuen Donau zurückziehen. Mit dem schmierigen Wiener „Schmäh“ und der heuchlerischen Weinseligkeit des Korporatismus der Zeit von Anton Benya und Josef Sallinger, und genau dort steckt der ÖGB noch immer fest, wird man die Profis des Klassenkampfes von oben nicht beindrucken können.

Aus der „Jungen Freiheit“ erfahre ich wöchentlich zuverlässig über die neuesten Idiotien der woken Linken. Jetzt warnt zum Beispiel gerade die Universität von Northampton die Studierenden vor dem Buch „1984“ von George Orwell, weil es „explizites Material“ enthält, das zart besaitete akademische Schneeflöckchen „anstößig und beunruhigend“ finden könnten. Ich für meinen Teil werde nun das Buch „Geschlecht und Charakter“ von Otto Weininger im Keller verstecken. Nur für den Fall, dass die Sittenpolizei der Antifa bei mir auf der Suche nach Material für ihre Scheiterhaufen vorbeischaut. In zwei Wochen wird die diesjährige Ausgabe der österreichischen Jugendwertestudie des Instituts für Jugendkulturforschung erscheinen. Wir haben diesmal, wie das Institut Allensbach, einen Teil der Studie den „Grenzen der Freiheit“ gewidmet. Und es zeigt sich, dass unter den österreichischen Jugendlichen bereits 78 % meinen, dass es heute besser ist, vorsichtig zu sein und nicht gleich zu sagen, was man sich denkt. Besonders bei den Themen Migration, Asyl, LGBTQ+ und Islam sei es besser, die Klappe zu halten. Twitter-Rambos wie der Fußi Rudi und offensichtlich irre gewordene AK-Rätinnen, die den ÖVP-Kanzler in die Nähe des Faschismus und dessen Umgang mit Gas rücken und Trachten als „legale Symbole“ illegaler Nazis denunzieren, tragen dazu bei, dass sich ängstliches Schweigen in den Milieus der normalen Menschen ausbreitet. Und das bedeutet, dass diese ihre Emotionen und Affekte runterschlucken, so ihre Seelen vergiften und irgendwann verbittert und von Ressentiments getrieben die Straßen stürmen werden. Der Untergang von Weimar war dem Zusammenwirken der Radikalen aller Couleurs geschuldet. Kippt unsere Demokratie in den Totalitarismus, werden die radikalen Twitter-Kampftruppen relevante Beitragstäter sein.