Als Lemuren werden Primaten bezeichnet, die überwiegend nachtaktiv sind und im Altertum als herumgeisternde, frisch abgestorbene Seelen galten, die böse werden, wenn man sie nicht ausreichend verehrt und anbetet. Den Lemuren ähnliche Figuren gibt es auch unter den Altpolitikern. Man muss sie ausreichend würdigen und versorgen, denn sonst werden sie missgünstig und bösartig und schleudern der ihnen nachfolgenden Politikergeneration Flüche und Verwünschungen nach.

Die Gegenwart stellt sich nun gerade als eine Hochzeit der Lemuren dar. Viele von ihnen fühlen sich bemüßigt, dem nach einer Medienhatz sondergleichen und dem Verrat der Grünen zurückgetretenen Sebastian Kurz noch ein paar Hände Dreck nachzuwerfen.

Es war schon immer eine bevorzugte Angelegenheit der Schwachen und Rückgradlosen, auf starke Menschen hinzutreten, wenn sie diese am Boden liegend vorfanden. So können sich auch die erfolglosen Schwächlinge einen Augenblick stark und heldenhaft fühlen.

Besonders weit verbreitet ist der Lemuren-Typus in der schwarzen ÖVP. Viele von ihnen waren schon zu Zeiten, als Sebastian Kurz noch ein erfolgreicher junger Parteiführer war, mit hinterhältigen Attacken gegen ihn aktiv. Das verlogene Gerücht über die angebliche verborgene abweichende sexuelle Orientierung des Sebastian Kurz kam aus diesen Kreisen. Ein Zentrum der schwarzen Lemuren-Community ist Brüssel, wohin man nach guter Österreichischer Tradition jene Politiker abschiebt, die man in den Parteien loswerden will. Seit es Kurz gibt, spucken die Abgeschobenen von dort aus Gift und Galle, weil sie es nicht ertragen können, dass dem jungen Kurz etwas gelungen ist, das ihnen ein Leben lang verwehrt wurde, nämlich erfolgreich zu sein.

Unerträgliche Lügenkampagne

Seit Jahren nun läuft diese unerträgliche Lügenkampagne über das Sexualleben des jungen Politikers. Man scheute sich nicht einmal davor, das klebrige Gerücht in Arbeitskreisen auszustreuen, die man im Vorfeld der ÖVP abhielt und wo ganz offensichtlich versucht wurde, unabhängige universitäre Soziologinnen und einflussreiche Marktforscher an den „schwarzen“ Parteiflügel zu binden. Ich erfuhr davon, weil ich von Teilnehmern solcher Treffen angerufen wurde, die mir brühwarm die diffamierende Neuigkeit auftischten. Als ich ihnen dann mitteilen musste, dass sich dieses Latrinengerücht schon halb Österreich hinter vorgehaltener Hand zuflüstert, waren sie enttäuscht. Sie hätten sich wahrscheinlich wahnsinnig darüber gefreut, wenn sie mir gegenüber mit ihrem toxischen Insiderwissen hätten erfolgreich protzen können.

Die Neos, eine Partei junger Karrieristen, die überwiegend aus der ÖVP kommen und die ihre neue „Bewegung“ nur deshalb gegründet haben, weil sie in ihrer alten Heimat nicht so schnell an die politischen Pfründe und Futtertröge herangekommen wären, setzen nun offensichtlich auch auf Ehrabschneidung durch den subtilen Verweis auf ein nicht heteronormatives sexuelles Verhalten des Ex-Kanzlers. So spricht der Ex-Vorsitzende dieser immer peinlich optimistisch und konstruktiv daherkommenden Marktanbetungs-Truppe, Matthias Strolz, der sich gerne in Wiener Kaffeehäusern mit steinreichen Börseninvestoren zeigt, die Franz Müntefering einst als „Heuschreckenplage“ bezeichnete, von einer Verlogenheit von Sebastian Kurz, die „von der privaten Lebensführung bis zur Inszenierung des Kanzleramtes“ reicht. Jeder, der nun etwas intelligenter ist, als die durchschnittliche Kaulquappe, die in den Tümpeln der Donauauen vorkommt, weiß worauf hier angespielt wird. Wieder auf die heteronormativen Zwangsvorstellungen und Ängste von politisch schwarzen und pinken Männern, die zwar jede Regenbogenfahne, die an den Büropalästen in Brüssel ausgesteckt wird, politisch korrekt per Presseaussendung bejubeln, aber hinter den Kulissen mit dem Schüren von Vorurteilen und Abneigungen gegen die Regenbogen-Community Politik zu machen versuchen. Strolz spricht von der moralischen Verluderung von Kurz. Das einzige aber, was angesichts dessen, was wir heute wissen, auf moralische Verluderung hindeutet, ist der Stil der Argumentation gegen Kurz, wie sie auch von Matthias Strolz geführt wird.

Ebenso doppelbödig und verlogen ist aber auch die gegenwärtige Debatte über das „Frisieren“ von Marktforschungsdaten und die Steuerung der politischen Berichterstattung über Inserate. Der Dojen der politischen Umfrageforschung in Österreich, der kürzlich verstorbene Ernst Gehmacher, hat einmal zu mir gesagt, „ein Marktforscher, der durch die Gestaltung des Fragebogens nicht die Ergebnisse erzeugen kann, die er will, ist ein schlechter Marktforscher“. Zusätzlich zur Fragebogendramaturgie stehen der Marktforschung noch die Stichprobenziehung und die Datengewichtung zur Verfügung, um Ergebnisse zu „gestalten“. Und vielfach wird die subtile Anpassung der Studienergebnisse an die Interessen des Kunden, egal ob dieser nun kommerziell oder politisch ist, von den Forschern vorauseilend oder unbewusst gemacht, weil sie sich, ob sie wollen oder nicht, mit dem Auftraggeber identifizieren. Wer also einen Marktforscher besticht, damit dieser Daten frisiert, muss ein Vollidiot sein. Denn ein paar freundliche Worte bringen ihn besser und leichter ans Ziel.

Verlogene Inseratendebatte

Auch dazu gibt es eine lustige Geschichte, die in Branchenkreisen noch immer kursiert. Ein prominenter Wissenschaftler hat einst die Wahlforschung für eine Partei gemacht. In seinen Daten lag diese Partei immer deutlich besser als bei anderen Instituten. Am Ende verlor sein Kunde die Wahl mit Bomben und Granaten. Wie kann man sich das erklären? Ganz einfach, die Partei, für die er die Studien durchführte, hatte ihm einen Stadtratsposten bei einem Wahlerfolg in Aussicht gestellt. Der Mann hat die Daten nicht frisiert, sein Unbewusstes hat ihm einen Streich gespielt. Er wollte die politische Position so sehr, dass er die positiven Faktoren unbewusst übergewichtete und die negativen übersah.

Die Zeit der Lemuren widerspiegelt sich auch in der Marktforschungsbranche. Dort gibt es den VdMI, den Verein der Marktforschungsinstitute. Dieser Verein, von dem keiner so genau weiß, warum es ihn überhaupt gibt und wofür er gut ist, hat es für notwendig befunden, darauf hinzuweisen, dass Sophie Karmasin bei ihm nicht Mitglied ist und Sabine Beinschab als Mitglied gar abgewiesen wurde. Ein paar Tage später wurde der OGM-Chef Wolfgang Bachmayer vom VdMI gemaßregelt, weil er es gewagt hat, bei einer politischen Umfrage eine Online-Stichprobe zu verwenden.

Auch hier dreschen ein paar Alteingesessene um sich, denen Solidarität fremd ist. Gegen Karmasin und Beinschab laufen bloß Ermittlungen, sie sind keine verurteilten Gauner. Sollte keine Anklage erhoben werden oder man spricht sie frei, wird sich der Taubenzüchterverein bei den beiden wohl entschuldigen müssen. Berichten wird darüber aber keiner. Davon ist auszugehen. Über die verlogene Inseratendebatte gibt es an dieser Stelle in der nächsten Woche Selbsterlebtes zur Kommunikation von Journalisten, Schmutzkampagne-Spezialisten und Politikern.