In Österreich nimmt gegenwärtig die Repräsentationskrise der Politik dramatische Formen an. Vor allem junge Menschen ziehen sich in eine Art innere Emigration zurück, politische Diskussionen werden vermieden und an Wahlen nehmen viele nicht mehr teil. Die Zahl derer, die glauben, dass man durch Wählen das politische Geschehen nicht mehr beeinflussen kann, nimmt zu. Und 70 % der unter 30-jährigen Österreicher und Österreicherinnen fühlen sich von der Politik in der Corona-Krise im Stich gelassen.

Dass die Politik mit der Corona-Epidemie intellektuell, administrativ und vor allem kommunikativ überfordert ist, zeigt sich täglich. Wir wissen aus der Geschichte, dass politische Systeme immer dann autoritär werden, wenn sie den Kontakt zur Bevölkerung verlieren und mit gesellschaftlichen Problemlagen nicht zurechtkommen. Eine Allegorie der überforderten Politik stellt momentan das Dreigestirn Schallenberg, Mückstein und Kogler dar. Weil ihnen die Fähigkeiten dazu fehlen, akzeptable Lösungen in der Corona-Krise zu finden, verfallen sie in einen immer aggressiver werdenden Ton, drohen der Bevölkerung und entwickeln Maßnahmen, die idealtypisch dafür stehen, was man gemeiniglich als strukturelle Gewalt bezeichnet.

Anstelle von vernünftigen Argumenten greift man zu Abwertung

Strukturelle Gewalt wird gegenüber Menschen angewendet, die sich nicht impfen lassen wollen, indem man Testkapazitäten zurückfährt, Gratistests abschafft oder sie überhaupt durch die Einführung der 2G-Regel am Arbeitsplatz vom Broterwerb auszuschließen versucht. Anstelle von vernünftigen Argumenten greift man zu den Mitteln der Abwertung, Ausgrenzung und Auslöschung. Man versucht die Menschen zu brechen, indem man sie zu Nazis und Idioten erklärt, sie an der Teilnahme am Erwerbsleben zu hindern versucht und kritischen Standpunkten in den Medien keinen Raum mehr gibt. Die Österreichischen Medien verkommen zu einem Verbund von manipulativen Regierungssprachrohren. Vor allem der Boulevard lässt einen Wust von anrührenden Anekdoten auf die Leserschaft niedergehen, in denen sportliche junge Menschen am Todesvirus zugrunde gehen, Säuglinge auf Intensivstationen um ihr Leben ringen und auf den Gängen von Spitälern Leichenberge aufgeschichtet werden. Seit geraumer Zeit fällt kein vernünftiges Wort mehr zu Corona in den Medien. Anstelle einer realistischen Betrachtung der Situation tritt eine überhitzte sophistische Kommunikation, die dermaßen wuchtig mit dem emotionalen Holzhammer auf die Menschen eindrischt, dass selbst gutgläubige und naive Medienkonsumenten das unangenehme Gefühl ergreift, dass die Sachverhalte einseitig dargestellt und manipulativ verdreht werden.

Damit hier keine Missverständnisse entstehen, ich halte es für vernünftig, sich impfen zu lassen und habe selbst schon den dritten Stich hinter mir. Ich halte es aber gleichzeitig für unvernünftig, Andersdenkende abzuwerten, auszugrenzen, zu kriminalisieren, in ihrer Existenz zu bedrohen, und zwar auch dann, wenn ihr Verhalten egoistisch und nicht gemeinschaftsdienlich erscheint. Es ist deshalb unvernünftig, solche Menschen als Paria zu markieren und zu exkludieren, weil man dadurch bewirkt, dass sich diese gemeinsam mit Gleichgesinnten einbunkern und radikalisieren und so ein tiefer Spalt in der Gesellschaft entsteht, der noch dann vorhanden sein wird, wenn die Corona-Epidemie längst Geschichte geworden ist.

Staatsspitze feiert im Bierzeltstil im ORF

Je mehr die Spitzenpolitik und ihr mit Inseratenmillionen über Jahrzehnte angefütterter Medienanhang auf Emotionalisierung, Drohungen, strukturelle Gewalt und bösartige Publikumsbeschimpfung setzen und das vernünftige Gespräch verweigern, desto mehr verlieren sie die Glaubwürdigkeit und die Gefolgschaft der Menschen. Das kann man erkennen, wenn man auf die Straßen geht und dort das Treiben während des aktuellen Lockdowns beobachtet. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind voll, auf den Gehsteigen schieben sich die Massen und der Autoverkehr ist dicht wie eh und je. In der Zwischenzeit ist wissenschaftlich eruiert worden, dass der Mobilitätsrückgang gegenwärtig bei lächerlichen 18 % liegt. Beim ersten Lockdown waren es 40 %. Die Leute machen ihr Ding und pfeifen auf die randalierende Regierung und behandeln sie genauso wie Zeugen Jehovas, denen man an der Wohnungstür freundlich zuhört, sie nach ihrem Sermon nett verabschiedet und danach weiterhin nicht an Gott glaubt.

Hat man Sebastian Kurz dafür gerügt, dass er seine Regierungsmannschaft in das enge Korsett einer Message Control gesteckt hat, so kann man an der Performance der Regierung Schallenberg sehen, wie das absolute Gegenteil davon aussieht. Die Regierung ist ein anarchistischer Haufen, in sich zerrissen, bietet dem Publikum eine wüste Kakophonie voneinander widersprechenden Botschaften und führt am Ende ihre eigenen Anordnungen dadurch ad absurdum, dass sie sich mitten im Lockdown zu einer launigen Feierstunde im ORF-Zentrum einfindet.

Der erstaunte Bürger durfte dort die Spitzen des Staates dabei beobachten, wie sie zu „Life ist Life“ von Opus im Bierzeltfeierstil mehr oder weniger rhythmisch in die Hände paschten. Dieses Musikstück ist, nebenbei gesagt, genauso einfältig und unerträglich, wie „Hey Baby“ von DJ Ötzi, das bis zum heutigen Tag von besoffenen Wintersporttouristen in die verschneite Bergwelt der Alpen hineingebrüllt wird. Gut passend dazu die Primitivaktion des Arbeitsministers, verschmitzt lächelnd den Hintern einer Ministerkollegin zu fotografieren. Genau so muss das sein im Bierzelt.

Neuwahlen – und zwar so schnell wie möglich

Auf ein ehrliches Wort zum Abschluss. Diesem völlig entgleisten Haufen, dem offensichtlich die Führungsautorität abhandengekommen ist, soll die Bevölkerung vertrauen? Mit ihm will man durch die Corona-Krise kommen und durch die sich ihr notwendig anschließende Wirtschaftskrise? Kein Mensch, der halbwegs bei Sinnen ist, kann das ernsthaft glauben. Deshalb Neuwahlen, so schnell wie nur möglich.

Der Jugendforscher und eXXpress-Kolumnist Bernhard Heinzlmaier untersucht seit mehr als zwei Jahrzehnten die Lebenswelt der Jugend und ihr Freizeitverhalten. Er kennt die Trends, vom Ende der Ich-AG bis zum neuen Hedonismus und Körperkult, bis zu Zukunftsängsten im Schatten von Digitalisierung und Lockdown. Heinzlmaier ist Mitbegründer und ehrenamtlicher Vorsitzender des Instituts für Jugendkulturforschung. Hauptberuflich leitet er das Marktforschungsunternehmen tfactory in Hamburg.