Einst hat William S.  Burroughs die Figur des Kontrollsüchtigen geschaffen, der gleichermaßen ein unstillbares Verlangen danach hat, andere zu kontrollieren und selbst kontrolliert zu werden. Ein bekannter Idealtypus des modernen Kontrollsuchtkranken ist der deutsche Possenreißer Jan Böhmermann. Wo dieser Gaukler im Bühnenstechschritt lustwandelt, würden die Singvögel tot vom Baum fallen und Menschen voll der Angst vor seinen Wortbomben in geistige Zivilschutzräume flüchten, wenn man den Mann in Natur und Kultur noch ernst nehmen würde. Die letzte links-deliröse Forderung, die Böhmermann erhob, war die nach dem Ausschluss aller Menschen aus den staatlichen Medien, die nicht konformistisch den Meinungen der öffentlich-rechtlichen Mediokratie beipflichten. Ein deutschsprachiges System, in dem eine solche politische Kultur bereits geherrscht hat, gab es schon, und zwar zweimal. Einmal nannte es sich tausendjähriges Reich, ein andermal DDR.

Eine Possenreißerin von höchster Güte ist auch die SPÖ-Vorsitzende auf Abruf, Pamela Rendi-Wagner. Zuletzt trat sie mit zwei bemerkenswerten politischen Forderungen hervor. Die erste richtete sie an das AMS, eine Einrichtung, deren Chef Johannes Kopf sich zuletzt mit einem Gedanken an die Öffentlichkeit wandte, der ihm wohl beim Soupée mit seinen großbürgerlichen Freunden gekommen ist, nämlich die Abschaffung der Zuverdienstmöglichkeiten für Arbeitslose.

ÖGB will keine Mindeslöhne

Sehen wir näher hin, eröffnet sich, dass es gerade einmal 10% der AMS-Leistungsbezieher sind, die die Möglichkeit von Mini-Jobs als Zusatzeinkommen nutzen. Die ganze Diskussion stellt sich damit am Ende auch noch als reines Symboltheater heraus, mit dem die österreichische Politik den Menschen wohl suggerieren möchte, dass sie engagiert im Interesse des Gemeinwohls tätig ist.

Von einem Mann also, der den Ärmsten an die Geldbörse will und diese noch dazu für ein lächerliches symbolpolitisches Theater missbraucht, verlangt Rendi-Wagner nun, dass das AMS nur mehr Leute an Firmen vermitteln soll, die sich an die von der SPÖ festgesetzte Mindestlohngrenze von 1.700 Euro halten. Besser wäre es, würde die gute Frau die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes fordern. Das darf sie aber nicht, weil ihr das der in der SPÖ allmächtige ÖGB verbietet. Der will nämlich keine Mindestlöhne, weil er seinen Mitgliedern dann nicht mehr die Mikrozuwächse in den Leichtlohngruppen nach der jährlichen Kollektivverhandlungs-Posse als epochalen Erfolg verkaufen kann.

Vertrauen der Bevölkerung verloren

Noch eigenartiger ist aber Genossin Rendi-Wagners zweiter Vorschlag. Sie möchte, um die Impfneigung der Bevölkerung zu erhöhen, alle, die sich gegen Covid-19 impfen lassen, mit einen „Impfhunderter“ belohnen. Ganz abgesehen davon, dass hier mit erwachsenen Staatsbürgern so verfahren wird wie mit kleinen Kindern, denen man fünf Euro die Woche gibt, wenn sie täglich den Müll hinausbringen, wissen wir aus diversen sozialwissenschaftlichen Analysen, dass unter denen, die jetzt noch keine Impfung haben, viele Menschen sind, die sich dezidiert gegen eine Impfung entschieden haben und somit keinesfalls durch eine kleine Anerkennung oder gar durch die Teilnahme an einer Tombola dazu zu bewegen sind, ihre Entscheidung zu revidieren.

Das Problem der Impfverweigerung besteht vor allem darin, dass die Politik das Vertrauen der Bevölkerung verloren hat, weil sie immer wieder dabei aufgeflogen ist, wie sie, gelinde gesagt, äußerst selektiv mit Informationen die Pandemie betreffend umgegangen ist. So wurde, wohl um radikale Feministinnen nicht zu provozieren, lange nicht verlautbart, dass über fünfzig Jahre alte Männer einer Hochrisikogruppe angehören. Sie hätten beim Impfen vorgezogen werden müssen. Die Politik hat das nicht gewagt.

Bis zum heutigen Tag wurde die Bevölkerung nicht davon unterrichtet, dass auf den Intensivstationen überwiegend Menschen mit Migrationshintergrund zu finden sind. Ein Arzt, der diese Tatsache schon vor Monaten angesprochen hat, wurde als Rassist und Rechtsausleger denunziert. Aus der Schweiz wissen wir, dass der Anteil von Migranten auf Intensivstationen über 70% liegt. Werden wir von den Behörden irgendwann Zahlen darüber bekommen, wie die Situation bei uns tatsächlich ist? Und wann werden Maßnahmen vorgestellt, wie man diese Bevölkerungsgruppe erreichen und überzeugen kann?

Menschen wählen keine Programme sondern Persönlichkeiten

Oder das Problem der Urlaubsrückkehrer aus Balkanstaaten und der Türkei. Immer wieder sickern Informationen aus den Behörden durch, dass diese überwiegend für den Anstieg der Ansteckungen, also für die anrollende vierte Welle, verantwortlich sind. Wenn das so ist, warum hat man dann nicht Menschen mit Migrationshintergrund nachdrücklich gebeten, von ihrem Familienurlaub zu Hause Abstand zu nehmen? Und österreichischen Urlaubern nachdrücklich davon abgeraten, zum Beispiel in die Türkei zu reisen?
Dass viele Leute heute nicht zur Impfung gehen, hat die Politik mit ihrer taktischen Kommunikation, mit ihrem Verschweigen von Tatsachen bis hin zum bewussten Ausstreuen von Unwahrheiten selbst zu verantworten. Sie sollte nicht mit dem Finger auf die Bürger zeigen, sondern sich in kritischer Selbstreflexion üben.
Und manche Parteien könnten sich in diesem Zusammenhang auch gleich kritisch mit dem von ihnen angebotenen politischen Personal auseinandersetzen. Pamela Rendi-Wagner, Sigrid Maurer und Werner Kogler, um nur drei relevante Repräsentanten des Staates zu nennen, sind unfähig, die Mehrheit der Bevölkerung zu erreichen. Ihnen allen wird, außer wenn es um identitätspolitische Themen und flüchtlingspolitisches Laissez-faire geht, keine Kompetenz und Glaubwürdigkeit mehr zugeschrieben. Schlüsselrepräsentanten der Demokratie müssen mehr können, als Orchideen-Themen zu repräsentieren.
Menschen wählen nicht Programme, sie wählen Persönlichkeiten. Was passieren kann, wenn man sich bei der Personalwahl vergreift, zeigt gerade die CDU/CSU in Deutschland. Weil man den schwachen Laschet dem Vollblutpolitiker Söder vorgezogen hat, wird nun die SPD die Wahlen gewinnen und am Ende wohl eine stramme Links-Regierung mit Grünen und Linkspartei bilden. Es kommen vier harte Jahre auf Deutschland und auf Europa zu.

Der Jugendforscher und eXXpress-Kolumnist Bernhard Heinzlmaier untersucht seit mehr als zwei Jahrzehnten die Lebenswelt der Jugend und ihr Freizeitverhalten. Er kennt die Trends, vom Ende der Ich-AG bis zum neuen Hedonismus und Körperkult, bis zu Zukunftsängsten im Schatten von Digitalisierung und Lockdown. Heinzlmaier ist Mitbegründer und ehrenamtlicher Vorsitzender des Instituts für Jugendkulturforschung. Hauptberuflich leitet er das Marktforschungsunternehmen tfactory in Hamburg.