Nachdem die österreichische Linke mangels eigener Ideen jeden moralistischen Blödsinn aus dem Ausland begierig aufgreift, hat die Villacher SPÖ-Vizebürgermeisterin dafür gesorgt, dass diese karnevaleske Gespenster-Debatte nun auch in Österreich umgeht. Jedenfalls fordert die sittenstrenge Frau, dass beim Villacher Kirchtag, der für hohe Moralstandards und solide und grundanständige Feiermanieren bekannt ist, die Nummer 1 der Charts, die von einer Puff-Mama erzählt, die schöner, jünger und geiler ist als alle anderen Puffmütter, nicht gespielt und damit nicht vom ekstatischen Gejohle noch nicht umgekippter Alkoholleichen begleitet werden darf.

Der Song, so die gestrenge Frau Bürgermeisterin,  sei für den Villacher Kirchtag „absolut unpassend“. Dabei, so hätte ich mir gedacht, ist gerade dieser Kirchtag der Ort, wo der Ballermann-Titel hingehört, ja er hätte für dieses Ereignis eigens produziert werden müssen, wenn es ihn nicht schon gegeben hätte, so idealtypisch steht er für die Feierkultur dieses volkstümlichen Partyvergnügens.

Experten aus dem "woken" Elfenbeinturm meldeten sich zu Wort

In Deutschland haben sich bereits diverse Experten aus dem „woken“ universitären Elfenbeinturm zu Wort gemeldet und den Song als „sexistisch“ entlarvt. Frauen würden durch Text und Video diskriminiert. Dabei sieht man im Video nur Frauen, wie man sie eben sieht, wenn man durch die Locations der gegenwärtigen Partykultur flaniert und hört im Text nichts anderes als die Sprache, die dort gesprochen wird. Warum, um alles in der Welt, sollte dann ein kulturindustrielles Produkt, bei dem es naturgemäß, wie auch beim Villacher Kirchtag, nicht um moralische Werte und ästhetische Qualität geht, sondern lediglich um das Scheffeln von Kohle mit Hilfe eines billig produzierten Unterhaltungsangebotes, etwas anderes beinhalten als genau das, was sich an den Hotspots der zeitgenössischen Partykultur tagtäglich ereignet?

Mehr als nur Sexismus

Bei der Debatte um „Layla“ geht es aber um mehr als Sexismus. Sie ist vor allem ein Symbol für eine sich ausbreitende neue kleinbürgerliche Prüderie und des Versuches der Restauration der konformistischen Ordentlichkeit der Nachkriegsgesellschaft. In Villach und in München, am Oktoberfest ist der Titel natürlich auch verboten, soll auf den Vorderbühnen, den öffentlichen Orten also, eine harmlose naive unschuldige Feierfröhlichkeit präsentiert werden. Was hinter den Festzelten und in den einschlägigen Etablissements der Städte passiert, das sieht keiner und kümmert deshalb niemanden. Wie in den 1950er und 1960er Jahren ist heute wieder eine Doppelmoral am Werk, die nur saubere Fassaden will, vor allem eine reine Sprache und lysoformierte Medienbilder und sich einen Schmarren darum kümmert, was sich an den uneinsehbaren Orten des wirklichen Lebens abspielt.

In der Praxis heißt das, dass am Villacher Kirchtag Frauen als sexuell neutralisierte Doris-Day-Reinkarnationen im sauberen Dirndl-Look auftreten sollen und Männer als charmante, höfliche und adrette Frauenversteher in Trachtenjoppe. Nach dem vierten Bier wird dieses Idealbild dann wohl etwas zerzaust aussehen, aber das ist egal, wenn alles, was sich dann ereignet, abseits der Öffentlichkeit geschieht. Denn in Wirklichkeit geht es den Moralisten ja nicht darum, was die Menschen machen und was mit ihnen passiert, sondern lediglich um den schönen Schein ihrer potemkinschen Dörfer. München und Villach sollen als ordentlich aufgeräumte Städte mit einem braven und manierlichen Bürgertum erscheinen, zünftig, gesittet und grundanständig.

In den 1980er Jahren wurde noch der Song „Skandal im Sperrbezirk“ rauf und runter gespielt, keiner hat daran Anstoß genommen, außer vielleicht der damals noch lebende und äußerst aktive Porno-Jäger Martin Humer und sein Anhang. Auf der Donau-Insel gingen die Menschen baden so wie sie von Gott geschaffen wurden und in den meisten Bädern konnte jede Frau mit freiem Oberkörper in der Wiese legen. Heute tobt in Deutschland ein förmlicher Kulturkampf darum, ob Frauen gleich wie Männer ohne Oberteil die öffentlichen Bäder benutzen dürfen. Anstelle dessen sind Burkinis erlaubt, Badeanzüge, die aussehen wie die Neoprenoveralls von Tauchern. Dazwischen liegen nicht einmal vierzig Jahre. Man fragt sich, was da in so kurzer Zeit passiert ist.

In Österreich fast alle Parteien im Zeichen bequemer Passivität

Dass es sich bei der Renaissance von Prüderie und Biederkeit um etwas Tiefgreifendes handelt, zeigen jüngste Tendenzen in der Politik. Dort ist nicht die Zeit der alten Männer angebrochen, sondern die der uralten. Mit der Wiederkehr des verstaubten Moralismus und der verzopften Körperfeindlichkeit beginnt eine Greisenherrschaft um sich zu greifen, die man bisher nur aus der österreichischen Geschichte oder den vormodernen unaufgeklärten Kulturen Chinas, des Irans oder der Golfstaaten kannte. Helmut Plessner formuliert in seinem Aufsatz „Nachwort zum Generationenproblem“ aus dem Jahr 1966, dass es die Eigenart der Alten ist, wenn es um Krisenbewältigung geht, sich der Vergangenheit zuzuwenden, die Jugend hingegen wendet sich in so einem Fall zur Zukunft hin.

Aus diesem Grund rufe die industrialisierte Welt nach der Jugend und nicht nach höheren Altersklassen, so Plessner. Und er fügt hinzu, dass ein großer Vorzug der Verjüngung darin besteht, dass sie vom Druck der Vergangenheit entlastet und auch Auflehnung gegen die Autorität fortschrittshemmender überlieferter Stile und Lebensformen ermöglicht. Wir leben in einer Krisenzeit, in der innovatives, freies und experimentelles Denken und Zukunftsorientierung eine Überlebensfrage sind. Und was machen wir? Wir legen die Führung der Staaten in die Hände alter Menschen. In den USA ist der fast 80-jährige Joe Biden Präsident. Er verirrt sich schon einmal gerne im eigenen Garten. An der Spitze des Repräsentantenhauses steht eine 82-jährige Frau und Donald Trump, 75 Jahre alt, bring sich gerade als Herausforderer Bidens ins Spiel. Der 76 Jahre alte Luiz Lula wird in Brasilien wohl der nächste Präsident. In Italien ist der 74-jährige Mario Draghi gerade abgetreten, sofort kündigt der 85-jährige Silvio Berlusconi seine Kandidatur für den Senat an. In Frankreich ist der Führer der Linken, Jean-Luc Mélenchon, 71 Jahre alt. Übrigens, der Papst ist 85.

Was ist in Österreich?  Da finden sich fast alle Parteien im Zeichen bequemer Passivität zusammen, um einen 79-jährigen Greis eine zweite Amtszeit als Präsidenten zu ermöglichen. Er hat seine erste vornehmlich weltabgewandt in der Heimat verbracht und selbst zu Hause selten seinen Amtssitz verlassen. Und wenn er das Wort ergriff, dann mutete das Gesagte oft seltsam an. Politik und Gesellschaft schwanken gerade zwischen den Polen Stagnation und Sturz zurück in eine überkommene Kultur des Vorgestern. Die alten Politiker sind sicher guten Willens und bester Absichten, wir sollten uns aber vielleicht trotzdem einen Satz von Simon de Beauvoir durch den Kopf gehen lassen, den sie in ihrem Buch „Das Alter“ aufgeschrieben hat: „Die Tragödie des alten Menschen liegt oft darin, dass er nicht mehr kann, was er will.“ Besonders wenn wir in der Wahlzelle anlässlich der kommenden Präsidentschaftswahlen stehen, müssen wir ihn uns vergegenwärtigen.