Darüber hinaus charakterisiert es vorzüglich die Hysterie und die überbordende Emotionalität, die sämtliche politische Debatten heute beherrschen. Anstelle von vernünftigen Argumenten und eines offenen Meinungsaustausches dominieren theatralisch inszenierte Gefühlswallungen und aggressiv vorgetragene Forderungen nach Sprechverboten für nonkonformistische Meinungsträger die Szenerie.

Ängstliche und opportunistische Eliten sind demokratiegefährdend

Demokratiegefährdend ist, dass die ängstlichen und opportunistischen politischen und wissenschaftlichen Eliten beim leichtesten Gegenwind nachgeben und in der Regel vor jedem randalierenden Hass-Mob kapitulieren. So wurde gerade ein Vortrag der Biologin Marie-Luise Vollbrecht, die letzten Samstag an der Humboldt-Universität zu Berlin darüber sprechen wollte, dass es biologisch betrachtet, nur zwei Geschlechter gibt, nachdem ein Arbeitskreis kritischer JURIST:INNEN mit der Störung der Veranstaltung gedroht hatte, aus Sicherheitsgründen von der Universitätsleitung abgesagt. Die Tatsachenbehauptung, dass es nur zwei Geschlechter gibt, ist für die radikale Splittergruppe nicht nur unwissenschaftlich, sondern auch „menschenverachtend und queer- und trans*feindlich“. Für die große Mehrheit der Bevölkerung ist die biologische Zweigeschlechtlichkeit eine unhinterfragbare Selbstverständlichkeit. Ihre Annahme ist – kurz gesagt – die Normalität. Aber wenn ein paar randständige Vertreter einer antiwissenschaftlichen Ideologie Proteste ankündigen, dann knickt die Universitätsführung sofort ein. Statt einer Absage wäre es auch möglich gewesen, eine Sicherheitsfirma zum Schutz der Vortragenden und ihrer Zuhörer zu engagieren. Aber so viel Aufwand für die Verteidigung der Freiheit der Wissenschaft war den honoren Rektoren dann wohl doch zu viel. Eine Überreiztheit bis hin zu Hass und Vernichtungswillen ergreift die öffentlichen Diskurse immer dann, wenn es sich jemand erlaubt, von den durch die Politik und den von ihr wirtschaftlich abhängigen Medien normierten Mainstream-Meinungen abzuweichen. Der Häretiker wird in der Regel auf bösartigste Weise im Zuge eines medial inszenierten Massenwahns öffentlich fertig gemacht.

Perfide sprachliche Kampftechniken werden gegen öffentliche Personen angewendet

Perfide sprachliche Kampftechniken werden gegenwärtig vor allem gegen öffentliche Personen angewendet, die den militärischen Konflikt in der Ukraine so rasch wie möglich durch Verhandlungen beenden und nicht den Endsieg einer der beiden Konfliktparteien nach jahrelangem verbissenen Krieg abwarten wollen. Von wütenden Bellizisten, wie dem Kampfgockel des digitalen Boulevards, Sascha Lobo, werden die Befürworter einer Verhandlungslösung als „deutsche Lumpen-Pazifisten“ gehässig abqualifiziert. Kein Funke Vernunft und humanitäres Empfinden haftet der Kriegsrhetorik von Lobo an. Anstelle dessen umgibt seine Rede das Flair wütender Parteilichkeit für die Politik der kriegslüsternen rot-grün-liberalen Transatlantiker in Deutschland, denen es nicht um die Linderung der Leiden des Volkes der Ukraine, sondern um die Disziplinierung der russischen Großmacht im Kampf um globale Macht und merkantilen Einfluss geht.  Denn wie in allen Kriegen der letzten Zeit, egal ob man nun an die militärischen Interventionen im Irak, in Libyen oder in Afghanistan denkt, geht es auch in der Ukraine nicht um die Bedürfnisse der kleinen Menschen, sondern ausschließlich um Großmachtinteressen und die Befriedigung der Gier nach Rohstoffen und neuen Märkten. Auch im Konflikt zwischen der USA und China spielen nicht Demokratie und Menschenrechte die zentrale Rolle, wie die Amerikaner uns weißmachen wollen, sondern es geht darum, einem immer erfolgreicher agierenden wirtschaftlichen Mitbewerber in die Parade zu fahren. 

Typische Reaktionen auf "Waffenstillstand jetzt"

Typisch war in diesem Zusammenhang auch die öffentliche Reaktion auf die Initiative „Waffenstillstand jetzt“ von 57 deutschsprachigen Intellektuellen, darunter Richard David Precht und der österreichische Philosoph Robert Pfaller. Sofort wurde ihnen ein naiver Pazifismus zum Vorwurf gemacht und auch die dreiste Attacke des extrem rechts angesiedelten ukrainischen Botschafters in Deutschland, Andrij Melnyk, der die Unterzeichner des Friedensappells als „pseudo-intellektuelle Versager, die sich zum Teufel scheren sollten“ abqualifizierte, wurde von keinem namhaften Politiker zurückgewiesen. Allein schon, dass man einen solchen Umgang mit Spitzenwissenschaftlern toleriert und sich nicht an ihre Seite stellt, ist ein Skandal. Tatsächlich wäre es notwendig gewesen, dem Herrn Botschafter zu erklären, dass er sich in einer mitteleuropäischen Demokratie befindet und dort zumindest formal jeder seine Meinung sagen darf und auch Parteien nicht willkürlich verboten werden, die dem regierenden Staatspräsidenten nicht passen, wie das in der Ukraine der Fall ist.  Der herrische Ton, den Melnyk anschlägt, wenn er mit oder über die Politiker seines Gastlandes spricht, ist gelinde gesagt, eines Diplomaten unwürdig. Zudem ist der Mann ein offener Anhänger des Faschisten Stepan Bandera, der mit den Nazis kollaborierte und auf das Konto von dessen nationalistischen Milizen die Ermordung von tausenden Juden und Polen geht. Vor den Verbalinjurien des ukrainischen Wut-Botschafters dürfte man sich auch bei Wikipedia fürchten. Offenbar hat man dort mitbekommen, dass Melnyk die Asow-Bataillone gleichermaßen verehrt wie den Nazi Bandera. Diese Bataillone sind ein Haufen wild gewordener Alt- und Neonazis. Auf Wikipedia wurden sie nun plötzlich von Faschisten zu reinen, geläuterten Freiheitskämpfern. Diese Umdeutung dürfte ganz im Sinne des Botschafters sein, der sich in Deutschland nicht wie ein Gast, sondern wie ein rüpelhafter Import-Diktator aufführt. 

Cancel Culture hat den Ukraine-Krieg erreicht

Dass die Cancel Culture nach dem Kulturbetrieb, der Corona-Debatte und der LGBTQ+-Thematik nun auch den Ukraine-Krieg erreicht hat, zeigt die öffentliche mediale Hinrichtung der Politologin Ulrike Guerot in der Sendung von Markus Lanz, dem Armin Wolf des deutschen Fernsehens. Schon bevor sie es sich im Staatsfernsehen erlaubt hat, dafür zu plädieren, die Ursprünge des Krieges und die Interessenslagen der Konfliktparteien zu analysieren und so eine Brücke hin zum Frieden zu bauen, wurde sie bereits durch den grünen Soziologen Armin Nassehi angebräunt, indem dieser ihrem letzten Buch einen „autoritär-faschistischen Sound“ unterschob. So schon gut für den finalen Abschuss in Lanzens Quatschbude aufbereitet, wurde sie dort, nachdem der Großinquisitor selbst das Kommando mit „wer will zuerst“ gegeben hatte, niedergebrüllt und öffentlich demoliert. Den letzten Rest hat der Frau dann ein ihr unterlegener Mitbewerber für eine Stelle an der Universität Bonn gegeben, indem er in zwei langatmigen, vom Geiste der philiströsen Kleinlichkeit getragenen Texten, Unkorrektheiten in ihren wissenschaftlichen Arbeiten nachzuweisen versucht hat. Was uns das alles zeigt? Dass heute nicht mehr der demokratische Meinungsstreit erwünscht ist, sondern man anstelle dessen die Installierung einer geistigen Einheitsfront anstrebt. Und jede öffentliche Person, die das orwellsche Einheitsnarrativ stört, wird vom linken olivgrünen Mob gehetzt, medial vergattert und am Ende NEUTRALISIERT.