Groß war der Jubel in Europa, als Joe Biden Donald Trump bei den letzten US-Wahlen als Präsident der USA ablöste. Amerika werde nun seine geopolitische Rolle wieder wahrnehmen, die für die wirtschaftliche Entwicklung Europas so wichtige Stabilität sollte wieder Realität werden.

Biden und Trump. Brüder im Geiste?

Zur Überraschung aller, führte Biden die von Trump ins Leben gerufene Politik „America first“ konsequenter als sein Vorgänger fort. Vielleicht etwas ruhiger und sanftmütiger, aber inhaltlich ohne gravierende Änderungen. Die chaotische Flucht aus Afghanistan kam zu einem für Europa ungünstigen Zeitpunkt. Denn die EU befindet sich gerade in einer einschneidenden Transformationsphase. Corona, BREXIT und die ruckartige Umstellung auf eine klimaneutrale Wirtschaftspolitik fallen mit ungewissen politischen Zukunftsentscheidungen in Berlin und Paris zusammen.

China setzt Europa unter Druck

Zeitgleich hat China wichtige Positionen in der globalen Wertschöpfungskette europäischer und amerikanischer Unternehmen erobert. Zudem werden nun auch europäische Unternehmen verstärkt unter Druck gesetzt, ihre Produktionen nach China zu verlagern, sofern man eine Rolle im gigantischen chinesischen Wirtschaftsmarkt spielen möchte.

Einzig Washington geht auf volle Konfrontation mit Peking. Währenddessen möchte die EU China „einbremsen, aber nicht provozieren“. Bleibt es so, wird es zu einer weiteren Abkühlung zwischen den USA und Europa kommen. Denn die USA werden die Europäer ziemlich harsch für ihre rigorose Politik gegenüber China einspannen wollen, allerdings ist Brüssel davon nicht begeistert. Die EU kann und will sich nicht in den Konflikt zwischen USA und China hineinziehen lassen. „Man habe aus Afghanistan gelernt“, hört man in Brüssel hinter vorgehaltener Hand.

Abkühlung des Verhältnisses USA und EU?

Mittlerweile ist es kein Geheimnis mehr. Die USA fokussieren sich auf Regionen, die für sie von Interesse sind. Und zwar ausschließlich. Amerikanische Ressourcen kommen nur dann zum Einsatz, wenn die Ziele auf der Menükarte der US- Außenpolitik stehen. Das wird die EU politisch, militärisch und finanziell treffen. Denn knapp 25 Prozent der 42 US-Militärbasen liegen in Europa. Immer, wenn Europa entscheidungsschwach war, schritten die USA ein, wie etwa in den 1990-er Jahren in Bosnien.

Aktuell gibt es keine Anzeichen, dass die Freihandelsgespräche der USA mit Europa wieder starten. Damit führt Biden Trumps protektionistische Politik fort und hält die Strafzölle gegen Stahl- und Aluminiumimporte aus Europa weiter aufrecht.

So ist es nur eine Frage der Zeit, bis die USA als Schutzmacht Europas einen stärkeren Beitrag einfordert. Bei diesem „Beitrag“ sind die USA flexibel: Geld, Gehorsam gegenüber der amerikanischen Handels- und Währungspolitik oder Kauf amerikanischer Rüstungsgüter.

Österreich als „Brückenbauer für die Welt“

In all den Wirren wäre es hoch an der Zeit, über das derzeit belastete Verhältnis zur Russischen Föderation nachzudenken. Bezeichnend ist, dass Europas Unternehmen seit Jahren das diplomatische Versagen ausbaden müssen. Europa ist mit Russland durch gemeinsame Grenzen, gemeinsame Wirtschaftsräume und eine gemeinsame Geschichte untrennbar miteinander verwoben. Dementsprechend wird es Zeit, den Dialog mit Moskau zu erneuern und die europäischen Unternehmen wieder frei wirtschaften zu lassen.

Natürlich kann man die globale Bedeutung Russlands herunterreden. Tatsächlich ist die Russische Föderation allerdings eine für Europa bedeutsame Größe, nicht nur als verlässlicher Gaslieferant. Die neue russisch-deutsche Gaspipeline Nord Stream 2 nimmt demnächst den Betrieb auf. Die politische Lage in Paris und Berlin ist gerade im Wandel. Es wäre also ein guter Zeitpunkt, wieder Österreichs Rolle als Brückenbauer aufzugreifen. Schließlich wurden vor ein paar Jahren von der damaligen SP/VP-Regierung rund 600.000 Euro Steuergeld in ein Nation Branding Konzept investiert. Der Ministerrat winkte im August 2013 das Konzept durch, wonach sich Österreich als Brückenbauer für die Welt positionieren solle. Viele Aktivitäten wurden angekündigt und in weiterer Folge mit faszinierender Beharrlichkeit nicht weiterverfolgt. Aber für einen ersten diplomatischen Brückenpfeiler für die Strecke Brüssel-Moskau sollte unser Geschick zumindest reichen.