Gleich vorneweg: wer meint, dass hier nur Politiker einer Partei gemeint sind, der irrt. Denn aktuell erleben wir zielgruppenfokussierte Kommunikation in einem zunehmenden Ausmaß. Bei Unternehmen ist dies üblich und auch in Ordnung. Politik hingegen wird durch Steuern und Abgaben der Allgemeinheit finanziert. Deshalb gelten hier andere Maßstäbe. Worum geht es dabei in aller Kürze: Bei zielgruppenfokussierter Kommunikation orientiert sich das Unternehmen an der Menschengruppe, die es erreichen möchte. Die Kernbotschaften werden in unterschiedlicher Art – passend zu den verschiedenen Kanälen – ausgesendet. Die Medien werden analysiert und ideal zur Zielgruppe ausgewählt. Dabei ändert sich zwar die Gestaltung, die Kernaussage bleibt immer gleich.

Es hat sich zunehmend der kurzsichtige Trend durchgesetzt, Kommunikationsmodelle, die in der Wirtschaft gelebt werden, auf die Politik umzulegen. Ist auch ein bequemes Modell nur in eine Echokammer zu sprechen, die einem am nächsten ist. Der große Unterschied ist allerdings, dass es bei Unternehmen zumeist um Produkte, Innovationen oder Positionen geht. Unternehmen müssen wirtschaftlich agieren, um überleben zu können und fokussieren sich deshalb zumeist auf eine eingeschränkte (Käufer-)Gruppe. In der Politik hingegen geht es um die Gesellschaft, um die Zukunft und die Frage, wie wir Positionen austauschen. Dazu gehört auch, mit Medien zu reden, die als kritisch gelten, die hart fragen. Am deutlichsten wird die mangelnde Bereitschaft ersichtlich, wenn etwa Armin Wolf in der ZIB2 verliest, wer aller eingeladen war, aber nicht gekommen ist.

Bild am Sonntag & Baerbock

Natürlich gab es die Zielgruppenfokussierung schon immer. Diese ist für eine effiziente politische Medienarbeit notwendig. Denn einem hart arbeitenden Politiker fehlt aufgrund der Medienvielfalt mittlerweile schlichtweg die Zeit, sich für allen Medienanfragen offen zu zeigen. Allerdings über Monate für reichweitenstarke Medien keine Zeit zu finden, ist mehr als sonderbar und deutet auf mangelndes Demokratieverständnis hin. Oder Bequemlichkeit.

Die deutsche Tageszeitung BILD hat sich kürzlich zu einem seltenen Schritt entschlossen. Nachdem die grüne Kanzlerkandidatin Baerbock ein wochenlang angefragtes Interview aus Zeitgründen abgelehnt hatte, titelte die Bild am Sonntag „Das ist ihre Seite, Frau Baerbock“ und druckte eine leere Seite ab.

Politik ist für alle da. Genauso wie Demokratie.

Die wirtschaftlichen Sorgen von Unternehmen haben Parteien nur beschränkt. Die inflationsangepasste Parteienförderung macht möglich, dass Parteien frei arbeiten können – und das ist gut so. Also sollen Steuergelder auch dazu verwendet werden, dass ein Politiker bereit ist, allen Staatsbürgern Rede und Antwort zu stehen. Dabei spielen Medien eine wichtige Rolle. In seinem Buch „Politik als Beruf“ (1919) bezeichnete Max Weber Politik als „ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“. Zu Leidenschaft und Augenmaß gehört auch die Bereitschaft offen mit Medien umzugehen.

Gefahr: Echokammer

Denn die Gefahr der Echokammer lauert nicht nur in den sozialen Medien. Das monatelange Verweigern von Interviews „kritischer“ Journalisten führt dazu, dass der Sinn für Realität darunter leidet. Die Allgemeinheit wird nicht mehr mit den Botschaften erreicht, sondern nur diejenigen, die ohnehin weitestgehend gleicher Meinung sind. Die dann rückmelden, dass die Parteiposition super ist. Darunter leidet der Diskurs, die Weiterentwicklung von Ideen, die eigene Persönlichkeit, die politische Kontur. Die Medien selbst machen – meiner Wahrnehmung nach – diese Verweigerungshaltung kaum publik, die deutsche „Bild am Sonntag“ war eine Ausnahme.

Kommunikationsbaustelle: Fehlende Impfkampagne

Da sich die politische Kommunikation nur mehr auf die eigenen Wählergruppen fokussiert, wird verständlich, warum wir bei der Impfquote so hinterherhinken. Nicht nur mich ärgert, dass der Sommer vom Gesundheitsministerium scheinbar wieder verschlafen wurde. Statt sich zu überlegen, wie Zielgruppen erreicht werden, die einen geringen klassischen Medienkonsum aufweisen, wurde spürbar nichts gemacht. Dabei ist es erfahrungsgemäß von Vorteil, diejenigen anzusprechen, die noch nicht geimpft sind. Denn nicht alle sind strikte Impfverweigerer. Dafür wäre es sinnvoll gewesen, vorab evidenzbasiert zu recherchieren, wie man diese Zielgruppe erreicht. Statt Information soll nun die Keule kommen. Ob das gesellschaftspolitisch klug ist, wage ich zu bezweifeln. Auch als Geimpfter.

Er zählt in Österreich zu den besten Kommunikationsexperten. Die Rede ist vom PR-Profi und Politik-Insider Bernhard Krumpel (49). Sein Motto: „Always stay focused“. Klaren Fokus benötigte er unter anderem bei seinen komplexen Jobs für Politiker, Ministerien und Konzerne. Neben seiner Beratungstätigkeit gibt der Wirtschaftssoziologe gerne sein Wissen an Studenten weiter. Er ist Verfasser von Fachartikeln, wie etwa zur Aktionärsrechte-Richtlinie und deren Auswirkung auf die Unternehmenskommunikation, sowie Mitherausgeber von drei Buchbänden mit dem Titel „Spezialgebiete der PR“.