Mit dem Wahlergebnis sorgte Graz für internationale Aufregung: Im Jahr 2021 bekommt eine Kommunistin die meisten Wählerstimmen. Graz bekommt den Mantel einer tiefroten Trutzburg umgehängt, Kahr mit den Verbrechen, die unter dem Deckmantel des Kommunismus irgendwo in der Welt stattfanden und stattfinden in Verbindung gebracht. Kahr fördert dies auch noch, indem sie scheinbar Tito nicht nur als ihr Vorbild benennt, sondern sich zudem als Groupie des Diktators und Massenmörders outet. Sie habe ihn sehr geliebt, vertraute Kahr einer kroatischen Zeitung am 2. Oktober 2021 an. Wir hätten es wohl nie erfahren, hätte der aufmerksame Ernst Sittinger nicht davon in der steirischen „Kleine Zeitung“ berichtet. Kahr dürfte entgangen sein, dass alle Ideologien, die martialisch das Kollektiv als Heilsbringer für das Individuum und einen Dirigismus propagieren, grundsätzlich nie etwas Gutes bringen. Derartige Konstrukte, wie der Nationalsozialismus oder der Kommunismus endeten immer in einem Blutbad für Andersdenkende.
Doch dass Kahr zu einem Grazer Tito mutiert und der tiefrote Kommunismus eine neue Hochblüte erlebt, würde letztendlich an den Grazern scheitern. Es ist weder absehbar, dass Kastner & Öhler enteignet, noch dass Kirchen geschlossen werden. Dementsprechend muss man in Graz die Kirche im Dorf lassen.

Graz ist bunt

Auch wenn die Schlagzeilen für Aufmerksamkeit bis nach Amerika sorgten, so kann eines anhand des Wahlergebnisses festgestellt werden: Graz ist bunt und die KPÖ wählten lediglich 28,84 %. Das ist nun einmal keine absolute Mehrheit, sondern eine überschaubare Führung vor der ÖVP (25,91 %). Die KPÖ muss nun zeigen, ob sie dem Bürgermeistersessel mit seiner vielfältigen Anforderungspallette gewachsen ist. Tatsache ist jedenfalls, dass die Herausforderungen wesentlich breiter sind als „nur“ eine Ressortverantwortung. Tatsache ist aber auch, dass Elke Kahr schon zuvor einen anderen Weg beschritten hat als ihre politischen Mitbewerber.
Gelebte Bürgernähe, tatkräftige und respektvolle Hilfsbereitschaft, verbindliche Kommunikation auf Augenhöhe mit Menschen, die Unterstützung benötigen. Ein Modell, das im lokalen Bereich optimal funktioniert – vorausgesetzt man mag Menschen. Damit erfüllt sie eine wesentliche Forderung der Wähler an die Politik: Bürgernähe. Und wäre Elke Kahr nicht mit dem ideologisch entlarvenden Label „KPÖ“ versehen, sie hätte wohl noch mehr Stimmen bekommen.

Von Kahr lernen

In einer öffentlich geführten Diskussion hat ein Teilnehmer zu mir gemeint: „Das klingt wie eine ‚Mutter Theresa-Strategie‘“. Das wäre aus meiner Sicht in Anerkennung der Verdienste von Mutter Theresa doch etwas zu weit gegriffen. Und ich glaube auch nicht, dass es „nur“ ein Plan von Elke Kahr ist. Ich denke, Kahr lebt dieses Engagement und setzt es nicht nur als berechnende Strategie ein. Der in Graz gebürtige Spitzenjournalist Bernt Koschuh (ORF) brachte es in einem Tweet auf den Punkt. Er schrieb, dass die KPÖ in Graz nicht als kommunistisch angesehen wird, sondern als Partei, die Bedürftigen hilft und deren Mandatare ihre Einkommen für Bedürftige splitten.
Statt also mit dem Finger auf Elke Kahr zu zeigen, wäre es für die eine oder andere Partei sinnvoller darüber nachzudenken, was man von Kahr lernen könne. Auch und insbesondere auf Bundesebene.

Ein paar Tipps aus dem Leben

Bürgernähe, Wertschätzung und Kommunikation auf Augenhöhe sind manchmal mühsam, aber die Anstrengung wert. Klar ist, wenn der Wähler das Gefühl hat nur mehr Bittsteller zu sein, dann reagiert er an der Urne. Zwei Beispiele aus dem Leben? Ein ehemaliger Kunde versucht in einer dringenden Angelegenheit ein Ministerbüro zu erreichen. Drei Tage lang, niemand hebt das Telefon ab. Oder: Ein Bekannter schreibt ein Mail an einen Politiker betreffend Corona. Die Antwort ist bis heute ausständig, Nachfrage ergebnislos.
Dass zumeist der Kontaktversuch gar nicht beim Politiker selbst landet, sondern bei Mitarbeitern, spielt hier keine Rolle. Denn die Irritation wird jedenfalls dem Politiker zugerechnet und erzeugt unnötigerweise Befremden. Gerade in der Politik wird zunehmend die Einstellung benötigt, dass die Menschen außerhalb der politischen Zirkel keine „Bürger zweiter Klasse“ oder gar Stimmvieh sind. So wäre es von Zeit zu Zeit gut, politische Mitarbeiter daran zu erinnern, dass deren Arbeit eine wichtige Dienstleistung für den Bürger ist. Wer das nicht beachtet, wird über kurz oder lang abgewählt. In dem Sinne sind diejenigen im Vorteil, die bereit sind, vom Erfolg anderer zu lernen.

Der Zeitgeist schwebt in Richtung „miteinander“

Auf Bundesebene geht es somit klar in Richtung Kommunikation mit dem Bürger auf Augenhöhe. Dazu gehören totale Transparenz durch Open Data, also „gläserner Staat“, und konstruktives Management, statt hasserfüllte Kommunikation mit politischen Mitbewerbern. In diese Richtung schwebt der Zeitgeist. All das sind keine Ideologiefragen, sondern Einstellungssache. Parteien, welche sich gegen diese Entwicklung wehren, werden ob kurz oder lang an der Wahlurne abgestraft.
Damit sind wir wieder beim Wahlergebnis der Kahrstadt Graz und der Notwendigkeit, dieses konstruktiv zu analysieren. Vielleicht werden die Erkenntnisse schneller benötigt, als noch vor einer Woche gedacht wurde.

Er zählt in Österreich zu den besten Kommunikationsexperten. Die Rede ist vom PR-Profi und Politik-Insider Bernhard Krumpel (49). Sein Motto: „Always stay focused“. Klaren Fokus benötigte er unter anderem bei seinen komplexen Jobs für Politiker, Ministerien und Konzerne. Neben seiner Beratungstätigkeit gibt der Wirtschaftssoziologe gerne sein Wissen an Studenten weiter. Er ist Verfasser von Fachartikeln, wie etwa zur Aktionärsrechte-Richtlinie und deren Auswirkung auf die Unternehmenskommunikation, sowie Mitherausgeber von drei Buchbänden mit dem Titel „Spezialgebiete der PR“.