1055 Kilometer. Das ist die Entfernung zwischen Wien und der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Es ist ungefähr derselbe Weg nach Paris. Nimmt man die Grenzen als Orientierungspunkt, so ist die ukrainische Grenze von Österreich nahezu genauso weit entfernt, wie Wien von Bregenz. Also näher, als viele glauben.

Aus der Ukraine erreichen uns martialische Töne. Der ehemalige Box-Weltmeister Vitali Klitschko, aktuell Bürgermeister von Kiew, erklärt bereit zu sein, für sein Land zu kämpfen. Grund der Sorge sind – laut US-Regierung – „ungewöhnliche russische Militärmanöver“ unweit der Ukraine. Binnen kürzester Zeit begannen EU und USA Drohungen gegenüber Moskau auszusprechen, sollte ein Angriff auf die Ukraine stattfinden.

„Hysterische Reaktion“

Der Kreml ist ob der Aufregung verwundert, wirft den USA und damit Europa, Hysterie vor. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow dazu: “Jene, die ihre Soldaten aus dem Ausland geschickt haben, werfen uns ungewöhnliche Militäraktivitäten auf unserem eigenen Staatsgebiet vor.” Wo immer Russland Militärmanöver macht, herrscht Anspannung und das waren dieses Jahr doch einige, zunehmend auch im Staatenverbund: Wie beispielsweise an der Grenze zu Afghanistan gemeinsam mit Tadschikistan und Usbekistan, in Belarus und der Ostsee gemeinsam mit Belarus, im Nordwesten Chinas im Verbund mit China oder eigenständig auf der Krim. Grundsätzlich verständlich, wenn man sich die geopolitische Lage Russlands mit teils sehr instabilen Nachbarländern vor Augen hält.

Aber auch die US-Streitkräfte und ihre NATO-Partner übten heuer im Schwarzen Meer, also in russischer Grenznähe, für den Ernstfall. “Defender Europe 21” war eines der größten Manöver der vergangenen Jahre.

Faktum ist nun, die USA werfen Russland Kriegsvorbereitungen gegen die Ukraine vor, Moskau sagt dazu „Blödsinn“.

Entfremdung zwischen Europa und Russland

Beobachter hingegen meinen, dass Russland kein Interesse an einem Überfall auf die Ukraine haben kann: „Der Nutzen wäre gering, der Preis hoch. Es ergibt also für Russland keinerlei Sinn.“ Zudem sei eine Landbrücke zur Krim nicht mehr so relevant, seit Fertigstellung der Brücke zwischen der Halbinsel und dem russischen Festland. Generell geht es Russland seit Jahren darum, seine Grenzen zu festigen und zu stabilisieren. Ein Angriffskrieg ist aus Sicht des Kremls weder strategisch noch konzeptionell oder wirtschaftlich sinnvoll.

Dementsprechend gab sogar der russische Auslandsgeheimdienst SWR, eine öffentliche Erklärung ab: “Die Amerikaner zeichnen ein erschreckendes Bild von russischen Panzerhorden, die sich darauf vorbereiten, ukrainische Städte zu überrollen, und sie behaupten, dass sie ‘zuverlässige Informationen’ über entsprechende russische Absichten hätten.” Dies seien “absolut falsche Informationen”.

Swift als Drohung

Die USA legten ihren Schwerpunkt nicht auf eine Abrüstung der Worte. Im Gegenteil. Präsident Biden stellte neben militärische Drohungen einen Rauswurf aus dem Finanzsystem Swift, Stichwort „BIC“, in den Raum. Ein „Privileg“, das bisher nur der Iran von 2012 bis 2016 und nunmehr seit 2018 erdulden muss.

Als Folge wären keine Überweisungen mehr von und nach Russland möglich, also eine finanzpolitische Isolation. Denn Swift vergibt den sogenannten BIC (Bank Identifier Code) und bildet damit die Grundlage für jährlich Milliarden globale Geldüberweisungen von einem Konto zum anderen. Mehr als 11.000 Geldhäuser aus über 200 Ländern hängen an diesem System. Die Genossenschaft Swift wurde 1973 von Banken gegründet und hat seinen Hauptsitz in Brüssel und wickelte im Jahr 2020 mehr als 20 Milliarden Nachrichten zwischen den teilnehmenden Banken ab.

Russland profitiert von Rohstoffpreisen

Dabei erwartet Russland ein gutes Wirtschaftsjahr. Dank gestiegener Rohstoffpreise hat Russland schon in den ersten zehn Monaten um 132 Milliarden Euro mehr exportiert als importiert, eine Steigerung von mehr als 75 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Das Wirtschaftswachstum wird Prognosen zufolge heuer rund fünf Prozent, nächstes Jahr drei Prozent betragen.

Ein Ausschluss Russlands würde auch Europa treffen. Rund 75 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen kommen aus der EU, die größten Nutzer der Swift-Connection zu russischen Banken sind aktuell Deutschland und die USA.

Auf der anderen Seite der russischen Grenze, feiern der chinesische Staatspräsident Xi und Russlands Präsident Putin gerade einen neuen Rekord beim bilateralen Handelsvolumen. In den ersten drei Quartalen des Jahres 2021 hat der Handel zwischen China und Russland zum ersten Mal die Marke von 100 Milliarden US-Dollar überschritten.

Doch zurück zur Ukraine. Dort hat Ende November der ukrainische Präsident Selenskyj vor der Presse in Kiew gesagt: „Ich habe die Information erhalten, dass am 1. Dezember in unserem Land ein Staatsstreich stattfinden wird.” Es gebe dazu Tonaufnahmen von Vertretern Russlands. Das ist bekanntermaßen nicht passiert.

Hoffen wir also, dass auch jetzt die Befürchtungen nicht der Wahrheit entsprechen. Wir haben wahrlich genug andere Themen, mit denen wir uns beschäftigen müssen.

Er zählt in Österreich zu den besten Kommunikationsexperten. Die Rede ist vom PR-Profi und Politik-Insider Bernhard Krumpel (49). Sein Motto: „Always stay focused“. Klaren Fokus benötigte er unter anderem bei seinen komplexen Jobs für Politiker, Ministerien und Konzerne. Neben seiner Beratungstätigkeit gibt der Wirtschaftssoziologe gerne sein Wissen an Studenten weiter. Er ist Verfasser von Fachartikeln, wie etwa zur Aktionärsrechte-Richtlinie und deren Auswirkung auf die Unternehmenskommunikation, sowie Mitherausgeber von drei Buchbänden mit dem Titel „Spezialgebiete der PR“.