Nach dem Terroranschlag in Kabul vergehen erst einmal einige Stunden, bis Joe Biden vor die Kameras tritt. Zuvor war von ihm nichts zu hören und nichts zu sehen. Am Donnerstagabend um 17:24 Uhr – eine halbe Stunde später als angekündigt – betritt er schließlich sichtlich betroffen das Rednerpult im Weißen Haus. Seine Worte signalisieren Entschlossenheit, seine Körperhaltung Verzweiflung. Während er seine Rede hält, fordern republikanische Politiker bereits Bidens Rücktritt und ein Amtsenthebungsverfahren. “Joe Biden hat Blut an den Händen”, twittert die Abgeordnete Elise Stefanik. Das Desaster in Afghanistan sei “ganz allein das Ergebnis der schwachen und inkompetenten Führung” des Präsidenten.

Mit “It‘s been a tough day” – es war ein schwerer Tag – beginnt Biden seine Ansprache. An die Terroristen gerichtet: “Wir werden nicht vergeben. Wir werden nicht vergessen.“ Den Verantwortlichen für die Attacken droht er: “Wir werden euch jagen und euch büßen lassen.” Die Terroristen des Islamischen Staates würden “nicht gewinnen”. Die USA ließen sich nicht einschüchtern. Man werde die Schuldigen aufspüren, “wo immer sie sind”. Erst zehn Tage zuvor hatte Biden am selben Ort angekündigt: “Wir werden unsere Leute mit vernichtender Gewalt verteidigen, falls nötig.”

Der Präsident hatte versprochen, alle Amerikaner nach Hause zu holen und möglichst viele afghanische Verbündete außer Landes zu bringen. Nach Angaben des US-Außenministeriums befinden sich in Afghanistan noch immer rund 1000 US-Staatsbürger. Jeder Einsatztag erhöht das Risiko weiterer Anschläge. Der Präsident macht bei seinem halbstündigen Auftritt deutlich: “Wir werden uns von Terroristen nicht abschrecken lassen. Wir werden nicht zulassen, dass sie unsere Mission aufhalten. Wir werden die Evakuierung fortsetzen.”

An die Familien der ermordeten Soldaten: "Mein Herz schmerzt für Sie."

Biden wendet sich an die Angehörigen der ermordeten US-Soldaten: “Wir haben, wie viele von Ihnen, eine Ahnung davon, was die Familien dieser tapferen Helden heute fühlen”, sagt er. Sein eigener später verstorbener Sohn Beau war selbst als Offizier im Irak. “Man hat das Gefühl, als würde man in ein schwarzes Loch in der Mitte der Brust gesaugt. Es gibt keinen Ausweg. Mein Herz schmerzt für Sie.” Biden bittet um eine Schweigeminute und steht eine ganze Weile schweigend am Rednerpult.

Der US-Präsident hält am Truppenabzug festAPA/AFP/Jim WATSON / AFP

Als wichtigstes Argument für den Truppenabzug aus Afghanistan hat Biden angeführt, dass das Terrornetzwerk Al-Qaida nicht mehr in der Lage sei, von dort aus Ziele in den USA anzugreifen. Selbst wenn das stimmen sollte: Dass der Terror in Afghanistan nicht besiegt ist, hat der Anschlag erneut deutlich gemacht. Einen US-geführten Einmarsch müssen Dschihadisten weltweit wohl auf absehbare Zeit nicht mehr fürchten. Nach dem Scheitern in Afghanistan sind westliche Staaten zu solchen Interventionen dürften wohl nicht mehr bereit.

Zustimmungswerte für Biden sind Umfragen zufolge im Keller

Biden ist überzeugt, dass die Geschichte – und mittelfristig noch viel wichtiger: der Wähler – ihm recht geben wird. Umfragen zufolge sind seine Zustimmungswerte zuletzt auf einen Tiefpunkt gefallen. Nach einer Befragung im Auftrag von “USA Today” heißt gerade einmal rund jeder Vierte findet Bidens Umgang mit dem Truppenabzug gut – obwohl eine Mehrheit dafür ist, die Soldaten nach Hause zu holen.

Biden argumentiert, er habe nach Trumps Abkommen mit den Taliban – das einen Abzug schon zum 1. Mai vorsah – nur zwei Möglichkeiten gehabt: Die Truppen bald danach nach Hause zu holen oder Tausende neue Soldaten nach Afghanistan zu schicken, um den Krieg zu eskalieren. Er lässt unerwähnt, dass Experten durchaus Alternativen zu diesen zwei Extremen vorgeschlagen haben. Und betont auch jetzt wieder: “Es war an der Zeit, einen 20-jährigen Krieg zu beenden.”

Joe Biden beantwortet die Fragen der JournalistenAPA/AFP/Jim WATSON / AFP

Bevor Biden den East Room verlässt, sagt er mit entschlossenem Tonfall: “Ich war nie der Meinung, dass wir amerikanische Leben opfern sollten, um zu versuchen, eine demokratische Regierung in Afghanistan zu errichten, einem Land, das in seiner gesamten Geschichte noch nie ein geeintes Land war (…). Es war an der Zeit, einen 20-jährigen Krieg zu beenden.” Felsenfest vertritt er weiterhin die Ansicht, dass der Abzug der US-Truppen der richtige Schritt ist, auch wenn Afghanistan damit wieder den Islamisten überlassen wird. (APA/Red)

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