In Deutschland ist Birgit Kelle eine der profiliertesten bürgerlich-konservativen Stimmen am Meinungsmarkt, doch immer wieder gerät die 46-jährige vierfache Mutter und gläubige Katholikin unter Beschuss. Der Grund: ihre Positionen. Denn in Deutschland ist der öffentliche Meinungskorridor bei manchen Themen derart verengt, dass Österreich mittlerweile in liberalen und konservativen Kreisen den Ruf eines “Meinungs-Eldorados” genießt: “Hierzulande sind beispielsweise Talk-Formate im Fernsehen viel kontroverser besetzt als in Deutschland, weswegen auch immer mehr Deutsche auf österreichische Medien zurückgreifen”, erzählt Kelle beim eXXpress-Redaktionsbesuch. “Daher werden auch immer öfter deutsche Gäste eingeladen.” Thematisch würden deutsche Talk-Formate aktuell kaum noch andere Themen als die Corona-Krise anbieten und seien zunehmend als “grüne Podien” in der Kritik.

"Homogene Meinungskultur" im öffentlich-rechtlichen Rundfunk

In Österreich seien es vor allem die privaten TV-Sender, betont Kelle, die viel auf politische Inhalte setzen: “Bei uns hingegen sind sie kaum oder gar nicht politisch.” Formate wie etwa “Talk im Hangar-7” oder “Links. Rechts. Mitte – Das Duell der Meinungsmacher” seien aus heutiger Sicht bei ProSieben oder Sat.1 undenkbar. Entsprechend würde sich dort alles auf öffentlich-rechtliche Medien konzentrieren, “wo aber eine homogene Meinungskultur herrscht.”

Autorin Birgit Kelle beim eXXpress-Besuch und Interview in WieneXXpress (F.S.)

“In Österreich kann man vieles offener ansprechen. So wie ich die Meinungskultur hier erlebe, kann man sich anständig zanken und trotzdem anschließend noch ein Glas Wein zusammen trinken. Diese Zeiten sind in Deutschland vorbei.” Dort sei sie bei TV-Sendungen oft die “Quoten-Konservative”, während in Österreich alle Seiten auf Augenhöhe und angemessen besetzt werden. Den eXXpress lobte sie als spannendes, neues Medienprojekt, das wichtig sei, für die mediale Meinungsvielfalt.

Linke erheben ihre Vorwürfe reflexartig

“In Deutschland ist die Debattenkultur, insbesondere jetzt noch mal durch die Corona-Krise, derart dramatisch eingebrochen, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte.” Als Beispiel nannte sie die Hysterie um die #Allesdichtmachen-Kampagne. “Innerhalb von Stunden wurde da eine digitale Treibjagd gegen die Initiatoren veranstaltet, die mich sprachlos gemacht hat.” Sie selbst fand die Aktion mehrerer Kulturschaffender äußerst gelungen, aber: “Es scheint nicht jedermanns Humor gewesen zu sein. Andererseits gibt es bei uns in Deutschland Menschen, die halten auch Jan Böhmermann für lustig.” Als alarmierend empfand sie jedoch den Mechanismus, mit dem von Links sofort im Netz Stimmung gegen die Videos gemacht wurde. “Die Behauptung, wonach die Kampagne jetzt von Rechten instrumentalisiert wird, stand nachts schon im Raum, da waren die Videos noch keine drei Stunden online.” Alleine das zeige ja schon, wie refelxartig solche Vorwürfe als Gegenwehr erhoben werden. “Die Rechten lagen zu dem Zeitpunkt in Wahrheit doch noch im Bett und schliefen, als die Linke bereits hysterisch wurde.”

Stimmung spitzte sich während der Corona-Krise zu

Analog zur Flüchtlingskrise 2015 sei es jetzt auch in der Corona-Krise der Fall, dass man mit jedem kritischen Satz, den man äußert, Gefahr läuft, sofort ins Rechtsaußen-Lager katapultiert zu werden. “Allein nur höfliche und legitime Rückfrage nach den Verfassungsrechten und dem Rechtsstaat, macht einem sofort zu einem Vertreter von Rechtsaußen und man wird als Nazi oder Corona-Leugner beschimpft.”

"In Österreich wäre ich im Team Kurz"

Rosen streute sie ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz: “Wäre ich Österreicherin, wäre ich im Team Kurz. Aus deutscher Sicht ist er ein großartiger Kanzler.” Als Beispiel nannte sie etwa die Flüchtlingskrise, “dort hat er als einer der Ersten klar formuliert, dass auch österreichische Interessen zählen, während es in Deutschland noch undenkbar war, dass sich die Bundeskanzlerin vorrangig um deutsche Interessen und nicht die der gesamten Welt kümmert.” Sie kenne viele Menschen in Deutschland, die sofort Angela Merkel gegen Sebastian Kurz tauschen würden.

In Hinblick auf die Bundestagswahl im Herbst, appelliert sie an die CDU, nicht mehr so weiter zu machen, wie bisher, weil die Partei klar an Profil eingebüßt hat. Der grüne Höhenflug, urteilt Kelle, selbst Mitglied der CDU, sei zum Teil auch inhaltlichen Schwächen der Union geschuldet. Aus ihrer Sicht wäre der Unionspolitiker Friedrich Merz der perfekte Kanzlerkandidat gewesen.

Zusammentreffen mit Kurz in Wien: "Viele in Deutschland wünschen sich einen Kanzler wie ihn"Birgit Kelle

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