Der Kampf gegen den Klimawandel ist für Greta Thunberg zwar existenziell, allerdings dürfe er nicht zulasten indigener Völker geführt werden, erklärt sie nun. “Wir können den so genannten Klimawandel nicht als Deckmantel für Kolonialismus benutzen”, warnte Thunberg gegenüber dem Fernsehsender TV2, während sie die Türen des Energieministeriums in Oslo blockierte. Die Klima-Ikone war dort gemeinsam mit den in traditionellen Gewändern gekleideten Sami-Aktivisten aufgetaucht. Die Samen (auch Lappen) sind ein indigenes Volk, das in Teilen Schwedens, Norwegens, Finnlands beheimatet ist.

Greta Thunberg (hinten, 3. v. r.) protestier mit anderen Klima- und Sami-Aktivisten am Eingang des norwegischen Energieministeriums.APA/Ole Berg-Rusten/NTB/AFP/Norwegen OUT

Gerichtshof: Der Windpark verletzt die Grundrechte samischer Familien

“Ein Klimawandel, der die Menschenrechte verletzt, ist kein Klimawandel, der diesen Namen verdient, und deshalb müssen wir gegen die Menschenrechtsverletzungen, die hier stattfinden, aufstehen”, erklärte Thunberg. Gemeinsam mit den Aktivisten protestiere sie gegen den Weiterbetrieb von Windkraftanlagen in der Region Fosen in Westnorwegen. Vor eineinhalb Jahren hatte der Oberste Gerichtshof Norwegens nämlich festgestellt: Der Windpark verletze das Recht samischer Familien, ihre Kultur zu praktizieren – und dazu gehört insbesondere die Rentierzucht.

Der Bau von Windturbinen beschneide das Recht der Samen auf Rentierzucht, erklärt Thunberg.APA/Ole Berg-Rusten/NTB/AFP/Norwegen OUT

Seit 2016 wurden in Fosen Anlagen mit insgesamt 277 Wind-Turbinen gebaut. Die vier aktiven Energie-Unternehmen des Landes wollten die Windparks weiter ausbauen. Auf Fosen sollte Europas größter Windpark auf dem Festland entstehen. Es war ein ehrgeiziger Plan. Doch die Samen, die hier mit ihren Rentierherden leben, protestierten von Anfang an dagegen – und zogen schließlich vor Gericht. Bei der Urteilsverkündung im Oktober 2021 waren die elf Richter einstimmig zu dem Schluss gekommen, dass die erteilten Genehmigungen ungültig waren. Das Windpark-Projekt beschneide die Rechte der ursprünglichen, indigenen Bevölkerung, ihre Kultur der Rentierzucht zu praktizieren.

Thunberg (M.) und andere Klima-Aktivisten – diesmal GEGEN WindturbinenAPA/Ole Berg-Rusten/NTB/AFP/Norway OUT

Norwegen will die Turbinen nicht abreißen

Doch mehr als 500 Tage nach dem Urteil, stehen die Wind-Turbinen immer noch. Das rief Greta Thunberg und die Sami-Aktivisten auf den Plan. “Wenn unsere Grundrechte nicht respektiert werden, dann weiß ich nicht, welchem Staat wir vertrauen sollen”, erklärte Ella Marie Haetta Isaksen, eine samische Aktivistin und Musikerin. Die norwegische Polizei zog schließlich zwölf Aktivisten gewaltsam ab, die die Halle des Ministeriums seit mehreren Tagen besetzt hielten.

Die Vertreter der Sámi fordern den Abriss der Turbinen, doch die norwegischen Behörden zögern mit weiteren Gutachten. Der norwegische Minister Terje Aasland sagte: “Wir verstehen, dass dieser Fall eine Belastung ist, aber auch wenn der Oberste Gerichtshof entschieden hat, dass die erteilten Genehmigungen den Rechtsschutz der Rentierzüchter verletzen, hat er keine Entscheidung darüber getroffen, was mit den Windturbinen geschehen soll”. Er erklärte dann, dass “eine Aktualisierung der Daten erforderlich ist, um die Genehmigungen zu ändern”.