Enthaftet wurde Tulpal I. (32), weil die zulässige Maximaldauer der U-Haft überschritten war. Diese darf laut Strafprozessordnung (StPO) bis zum Beginn der Hauptverhandlung zwei Jahre nicht übersteigen, selbst wenn der Betroffene eines Kapitalverbrechens verdächtigt wird, das mit einer mehr als fünfjährigen Freiheitsstrafe bedroht ist (§178 Abs 1 2. Fall StPO). Nachdem diese Grenze deutlich überschritten war, war der Mann aus formalen Gründen zwingend zu enthaften, um dem Gesetz genüge zu tun. Seit 5. Mai befindet sich der 32-Jährige auf freiem Fuß.

Der Tschetschene, der 2004 als Flüchtling nach Österreich gekommen war, soll vom radikalislamistischen “Hassprediger” Mirsad O. alias Ebu Tejma für den IS rekrutiert worden sein. Der Kampfsportler ging schließlich nach Syrien, wo er sich laut Staatsanwaltschaft Graz einer Kampftruppe der Terror-Miliz angeschlossen haben soll. Jahre später wurde über einen Zeugen, der auch Mirsad O. belastet hatte, was mit dazu führte, dass der Prediger in Graz rechtskräftig zu 20 Jahren Haft verurteilt werden konnte, bekannt, dass Tulpal I. in Syrien Morde begangen haben soll. Der Belastungszeuge wurde in ein spezielles Zeugenschutzprogramm aufgenommen, Tulpal I., der zu diesem Zeitpunkt in Österreich nicht mehr greifbar war, per internationalem Haftbefehl gesucht.

OGH weist Vorwürfe zurück

Im November 2018 klickten für den Tschetschenen in Weißrussland die Handschellen. Er kam in Auslieferungshaft, im darauf folgenden Frühjahr übergaben ihn die Behörden in Belarus der österreichischen Justiz. Am 26. April 2019 wurde über den Terror-Verdächtigen vom Landesgericht Graz die U-Haft verhängt.

Ein von der Staatsanwaltschaft Graz geführtes, umfangreiches Ermittlungsverfahren, das sich nicht nur gegen Tulpal I., sondern auch gegen dessen Eltern – ihnen wird Terrorismus-Finanzierung angelastet -, Mirsad O. und weitere Verdächtige richtete, zog sich allerdings in die Länge. Die Anklage wurde schließlich am 11. November 2020 eingebracht. Dann brach aber ein Konflikt über das für die Hauptverhandlung zuständige Gericht aus, mit dem das Oberlandesgericht (OLG) Graz und in weiterer Folge der Oberste Gerichtshof (OGH) befasst wurden.

OGH-Sprecherin Alexandra Michel-Kwapinski wies am Mittwoch im Gespräch mit der APA Unterstellungen zurück, man habe sich für die zu treffende Entscheidung zu lange Zeit gelassen. Der OGH habe den Akt am 15. Februar erhalten, zwei Tage später zur Stellungnahme der Generalprokuratur übermittelt, diese samt dem Akt am 2. März retour bekommen und am 25. März die Zuständigkeit geklärt. “Es hat keine Verzögerung gegeben”, betonte Michel-Kwapinski. Das Wiener Landesgericht für Strafsachen sei deshalb für die Hauptverhandlung zuständig, “weil einige von der Anklage umfasste Ausführungshandlungen im Sprengel des OLG Wien stattgefunden haben sollen”.

Termin für eine Hauptverhandlung gibt es noch keinen. Dem Vernehmen nach sollen noch einige Einsprüche gegen die Anklage offen sein. (APA)