Am Donnerstagmorgen, auf den Tag genau drei Wochen nach Beginn er russischen Invasion der Ukraine, hat sich Präsident Wolodymyr Selenskj in einer rund 15-minütigen Rede an den deutschen Bundestag gewandt. Dabei wählte er seine Worte – wie auch bereits zuvor in seinen Reden vor dem britischen House of Commons und am Vortag vor dem US-Kongress – maßgeschneidert auf sein Publikum und dessen Geschichte.

Dementsprechend war nicht nur die dramatische Lage in seinem Land Thema – mit dem sprachlichen Bild einer neuerlichen “deutschen Mauer” bemühte sich der ukrainische Präsident, die Bundesregierung an ihrer historischen Verantwortung zu erinnern und richtete zum Schluss einen direkten, persönlichen Appell an Kanzler Scholz selbst.

"Deutschland befindet sich irgendwie wieder in der Mauer"

Sichtlich gezeichnet von auf den Tag genau drei Wochen Krieg in seinem Land stieg Selenskyj direkt mit den schrecklichen Opferzahlen in den schrecklichen Status Quo der Invasion in sein Land ein: “In drei Wochen sind sehr viele Ukrainer gestorben, Tausende. Die Besatzer haben 108 Kinder getötet, mitten im Europa, im Jahre 2022”, sagt der Präsident, der diesmal ausnahmsweise keine olivgrüne Militärkleidung, sondern ein graues, leicht aufgeknöpftes Hemd trug. Nach vielen Verhandlungen und Bitten wende er sich an den Bundestag – einiges sei zu spät gekommen, die Sanktionen seien womöglich zu wenig, um den Krieg zu stoppen.

Russland nutze Deutschland und andere Länder aus, um den Krieg zu finanzieren, so Selenskyj. “Sie befinden sich irgendwie wieder in der Mauer“, sagt Selenskyj mit Blick auf die deutsche Geschichte. Die Mauer entstehe durch jede Entscheidung, die nicht getroffen werde, um Frieden zu schaffen. Früh habe die Ukraine darauf hingewiesen, dass schon die umstrittene russisch-deutsche Pipeline Nord Stream 2 ein Mittel des Krieges sei. “Das war traurig für uns”, sagt Selenskyj im Blick auf abgeschlagene Bitten um Unterstützung. “Wir haben den Widerstand verspürt, wir haben gespürt, Sie wollen die Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft weiter fortführen.”

Direkter Appell an Scholz: "Herr Bundeskanzler, zerstören Sie diese Mauer"

“Was ist die historische Verantwortung wert für das, was vor 80 Jahren geschah?“, fragt Selenskyj die Bundestagsabgeordneten – und greift noch einmal das historische Bild der “Mauer” auf: “Das wird immer eine Mauer sein, die immer Reue verlangen wird”, sagt er mit Blick auf die Reaktion Deutschlands auf die Kriegsvorbereitungen Russlands und den Krieg in der Ukraine. Selenskyj zitiert auch den ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan, der 1987 in Berlin die Sowjetunion aufforderte, den Eisernen Vorhang einzureißen.

“Herr Bundeskanzler Scholz, zerstören Sie diese Mauer. Zeigen Sie sich als Leader und ihre Nachkommen werden stolz auf Sie sein”, “helfen Sie uns, helfen Sie uns, diesen Krieg zu stoppen”, schloss Selenskyj und wurde vom Applaus der deutschen Parlamentarier aufgefangen, die sich, einer nach dem anderen, für Standing Ovations von ihren Sitzen erhoben.