Die Angriffe auf die Pipelines im September 2022 heizten auf beiden Seiten des Atlantiks wilde Spekulationen und Schuldzuweisungen über die Verantwortlichen an. Nachrichtendienstliche Erkenntnisse legen nun nahe, dass eine pro-ukrainische Gruppe die Pipelines gesprengt hat. Das berichten US-Beamte der „New York Times“.

Der erste Geheimdienst-Hinweise auf Täter

Die neuen Geheimdienstberichte sind der erste wichtige Hinweis darauf, wer für den Angriff auf die Nord Stream-Pipelines verantwortlich ist. „Einige Beamte sehen in der Ukraine und ihren Verbündeten das logischste mögliche Motiv für den Angriff auf die Pipelines“, schreibt die US-Tageszeitung. „Sie lehnen das Projekt seit Jahren ab und bezeichnen es als Bedrohung der nationalen Sicherheit, da es Russland ermöglichen würde, leichter Gas nach Europa zu verkaufen.“

Am 26. September 2022 wurden beim Sabotage-Akt beide Stränge von Nord Stream 1 und einer der beiden Stränge von Nord Stream 2 gesprengt.

Die ukrainische Regierung und der ukrainische Geheimdienst behaupten, weder eine Rolle bei dem Sabotage-Akt gespielt zu haben, noch zu wissen, wer ihn ausgeführt hat. Beweise dafür, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij oder seine Top-Leute an der Operation beteiligt waren, gebe es nicht, sagen die US-Beamte. Auch dafür, dass die Täter auf Anweisung ukrainischer Regierungsbeamter handelten, lägen zurzeit keine Belege vor.

Das wirft weitere Fragen auf. Denn eines steht fest: Ohne Unterstützung eines Staates lässt sich dieser Anschlag de facto nicht ausführen. Es ist jedoch möglich, dass die Täter in der Vergangenheit eine spezielle Regierungsausbildung erhalten haben.400 Kilogram Plastiksprengstoff wurden dafür benötigt. Darüber hinaus muss man 70 Meter weit tauchen. Das kann eigentlich nur ein Staat bereitgestellt haben – und die Frage ist, welcher das ist.

Selenskyj bestreitet, in den Anschlag involviert zu sein.Getty Images/O. Ginner/Ukrainian Presidential Press Service

Eine inoffizielle Verbindung zu Kiew wird nicht ausgeschlossen

Nach wie vor liegt vieles im Dunkeln. Doch die US-Beamte sprechen von einer ersten Spur, wie die „New York Times“ berichtet. „Die Überprüfung der neu gesammelten Geheimdienstinformationen deutet darauf hin, dass es sich um Gegner des russischen Präsidenten Wladimir W. Putin handelte“. Und: Bei den Saboteuren soll es sich höchstwahrscheinlich um ukrainische oder russische Staatsangehörige oder eine Kombination aus beiden handeln. Amerikanische oder britische Staatsbürger seien nicht beteiligt gewesen, erklärten die US-Beamte. Die Sprengsätze wurden höchstwahrscheinlich mit Hilfe erfahrener Taucher gelegt, die nicht für das Militär oder den Geheimdienst zu arbeiten schienen.

Eine Möglichkeit, die im Raum steht: Die Operation wurde inoffiziell von einer stellvertretenden Truppe mit Verbindungen zur ukrainischen Regierung oder ihren Sicherheitsdiensten durchgeführt. Zumindest das will man zurzeit nicht ausschließen.

Anfangs verdächtigten sämtliche Medien den Kreml. Doch mittlerweile bezweifeln immer mehr eine russische Urheberschaft hinter dem Anschlag.

Keine Hinweise auf Russland

Die anfänglichen Spekulationen fast aller westlichen Medien und Regierungen konzentrierten sich zunächst auf Russland als möglichen Drahtzieher hinter dem Anschlag. Immerhin verfügt das Land über Fähigkeiten zu solchen Unterwasseroperationen. Allerdings war von Beginn an unklar, welche Motivation der Kreml für die Sabotage der Pipelines haben sollte. Immerhin handelt es sich um eine wichtige Einnahmequelle und ein Mittel Moskaus, um Einfluss auf Europa auszuüben. Die Kosten für die Instandsetzung der Pipelines belaufen sich auch geschätzte 500 Millionen Euro.

Mittlerweile zeigt auch Russland Interesse, den Schaden zu reparieren. Das deutet nicht auf Moskaus Urheberschaft hin. Zweifel häuften sich, als US-Beamte auch nach einem halben Jahr einräumten, keinerlei Beweise für eine Beteiligung der russischen Regierung an dem Angriff gefunden zu haben. Ganz anders war das vor der Invasion: Dass Putin eine solche plant, war nach Abhöraktionen bereits klar.