Für die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU ist zurzeit ein General des neutralen Österreichs zuständig – ausgerechnet jetzt, inmitten des Ukraine-Krieges. Vor bald neun Monaten, am 16. Mai 2022, hat General Robert Brieger das Amt angetreten, er ist seither ständiger Vorsitzende des Militärausschusses der Europäischen Union (EUMC). Das Timing könnte brisanter kaum sein. Das führt – vermutlich unbeabsichtigt – ein Tweet der Deutschen Bundeswehr vor Augen, der Moskau so gar nicht gefallen dürfte.

Als neutraler Staat darf Österreich eine Konfliktpartei militärisch nicht unterstützen, auch nicht indirekt. Wie gut passt das zur Ausbildung von ukrainischen Soldaten? Diese Frage dürfte sich die Bundeswehr nicht gestellt haben. Sie twitterte nämlich hocherfreut: „Der österreichische General Brieger (Vorsitzender des Militärausschusses der EU) besucht das Special Training Command in Strausberg. Deutschland und seine Verbündeten koordinieren hier die Ausbildung der ukrainischen Soldaten. Für den Frieden in der Ukraine und in ganz Europa. Zusammen.“ Der Tweet endet mit dem Hashtag #StandWithUkraine.

Neutralität und EU-Mitgliedschaft: Ein Widerspruch?

Die Brisanz solcher Bilder ist nicht zu unterschätzen. Österreich ist nach wie vor neutral. Gleichzeitig nimmt es aber an der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU teil. Das hat weitreichende Konsequenzen, die jetzt erstmals in aller Schärfe zutage treten. Denn die EU hat sich in einem Krieg klar auf eine Seite geschlagen und leistet dabei beispiellose Unterstützung – mit einem heimischen General an der Spitze.

Österreich beteiligt sich seit 1995 an der EU-Sicherheitspolitik

Ein Rückblick: Am 26. Oktober 1955 hat der Nationalrat Österreichs „immerwährende Neutralität“ beschlossen, einen Tag nach dem Abzug der alliierten Besatzungstruppen. Im Falle eines bewaffneten Konflikts bedeutet das „Unparteilichkeit“. Auf der Homepage des österreichischen Parlaments können Interessierte nachlesen: „In einem bewaffneten Konflikt leistet ein neutraler Staat keine direkte oder indirekte militärische Unterstützung an Konfliktparteien. Außerdem tritt der Staat selbst nicht als aktive Partei in den Konflikt ein.“

Seit seinem EU-Beitritt am 1. Jänner 1995 kann Österreich seine Neutralität allerdings nicht mehr so wie bisher verteidigen. Rechtlich gesehen bleibt von der Neutralität faktisch nichts übrig, sobald die EU im Rahmen ihrer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) handelt. Eine ehrliche, öffentliche Diskussion darüber, was das bedeutet, findet zurzeit nicht statt.

Was bleibt noch von der Neutralität?

Das Neutralitätsgesetz könnte mit einer Zweidrittelmehrheit im Nationalrat und Bundesrat geändert oder abgeschafft werden. Dass das die Österreicher wollen, darf bezweifelt werden. Ohne eine Volksabstimmung wäre der Schritt wohl undenkbar – und diese Abstimmung hätte dann ein eindeutiges Ergebnis. Allerdings kündigt sich hier nichts Geringeres als ein Widerspruch zur EU-Mitgliedschaft an.

Bei der Präsentation des diesjährigen Risikoberichts hat das österreichische Bundesheer offen zugegeben: Die Ausweitung des Ukraine-Krieges ist zurzeit nicht nur die größte Gefahr für Österreich, sondern auch für seine Neutralität.

Soll Österreich neutral bleiben?