Der Kampf um Kherson könnte zu einer der brutalsten Schlachten des Ukraine-Krieges werden. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić spricht gar von einer „Entscheidungsschlacht“ und scheut nicht den Vergleich mit Stalingrad.

Es ist kein Zufall, dass die NATO gerade jetzt eine Reihe von Anti-Drohnen-Raketen nach Kiew geschickt hat. Kherson ist ein strategisch wichtiges Ziel, etwa im Hinblick auf den Zugang zum Meer und die Kontrolle über die Wasserressourcen.

Washington sucht erstmals das Gespräch

Eine Rückeroberung durch die Ukraine würde die strategische Ausgangslage im Krieg ändern, aus Washingtons Sicht wäre es aber auch Anlass, um erstmals in ernsthafte Friedensverhandlungen mit Moskau einzutreten, die man unbedingt aus einer Position der Stärke heraus führen will. Damit rückt das Weiße Haus gleichzeitig vom Ziel einer kompletten Niederschlagung Russlands in der Ukraine ab und peilt erstmals Gespräche an.

Biden (r.) und Putin haben offiziell seit der Ukraine-Invasion nicht mehr miteinander gesprochen. Inoffiziell findet ein Austausch zwischen Moskau und Washington aber wieder statt.

Das berichtet nun die italienische Tageszeitung „La Repubblica“ und sie nennt dafür zwei Gründe.

Putins Niederlage könnte noch schlimmere Folgen für die USA haben

Zum einen nehmen die USA und Europa Russlands Gerede vom Einsatz taktischer Nuklearwaffen durchaus ernst, auch wenn sie es vorerst für eine Drohgebärde halten. Dennoch würde der Einsatz zu einer Eskalation führen. Washington hat mittlerweile eingeräumt, schon seit längerem in direktem Kontakt mit Moskau zu stehen, um eine Ausweitung des Konflikts und eine nukleare Eskalation zu verhindern.

Es gibt aber noch einen anderen Grund: Die Interessen der USA und Russland beginnen sich in gewisser Hinsicht einander anzunähern. Washington behagt nicht der wachsende Einfluss Chinas auf Russland. Laut „La Repubblica“ würde eine vollständige Niederlage des russischen Staatschefs Wladimir Putin zu noch schlimmeren Folgen für die USA führen, etwa dass Russland vollständig unter die Kontrolle Chinas geriete. Aus westlicher Sicht käme man dann vom Regen in die Traufe. Ein Regimewechsel in Russland soll in Washington mittlerweile als Option vom Tisch sein.

Dass China seinen Einfluss auf Russland ausweitet, behagt Washington nicht. Im Bild: Wladimir Putin (l.) und Chinas Präsident Xi Jinping (r.)

Russland jederzeit zu Gesprächen bereit

Russland ist nach Angaben des Außenministeriums unterdessen weiterhin offen für einen Dialog mit den USA zum „gegenseitigen Vorteil“. Man wolle „zielgerichtete Kontakte mit den Vereinigten Staaten zu notwendigen Fragen aufrechterhalten“, sagte Ministeriumssprecherin Maria Sacharowa am Dienstag im Staatsfernsehen. Russland sei „zu jeglicher Art von Dialog zum beiderseitigen Nutzen und von beiderseitigem Interesse“ bereit.

Russland hat in den vergangenen Monaten im Zuge der Teilmobilisierung mehr als 300.000 Russen aktiviert, von denen ein Teil bereits in der Ukraine eingetroffen ist. Sollte es nach einer Rückeroberrung von Kherson zu einem Waffenstillstand kommen, könnte der Kreml die Zeit nützen, um alle Männer in das Kriegsgebiet zu schicken.

Einfluss auf die Gespräche zwischen Moskau und Washington könnten auch die Midterm-Wahlen haben, bei denen den Demokraten eine schwere Niederlage droht. Unklar ist auch, ob Gespräche zwischen Biden und Putin auf dem G20-Gipfel in Bali stattfinden werden.