Am Ende ging es doch schneller als erwartet. Sebastian Kurz verlässt die politische Bühne und wird in die Privatwirtschaft wechseln. Ein verständlicher Zug, denn außerhalb Österreichs wird die Einsatzbereitschaft, das Netzwerk und die Managementfähigkeit von Top-Politikern wesentlich mehr geschätzt als in unserer Alpenrepublik. Dass Sebastian Kurz Führungsqualitäten hat, ist unbestritten. Allein sich so lange im komplexen ÖVP-Sattel zu halten, währenddessen ein ambitioniertes Restrukturierungsprogramm durchzuführen und Wahlen deutlich zu gewinnen, ist bemerkenswert. Seit 1995 war nur Wolfgang Schüssel länger als Bundesparteiobmann im Amt.

Stilkritik

Andererseits beschrieben Kritiker den Stil von Kurz als inhaltslos, beliebig und marketingorientiert. Entscheidungen wurden nur im kleinsten Kreis getroffen, auch prominente parteiinterne Kritiker rüde und kompromisslos abgekanzelt. Erzkonservative Kreise gewannen in seinem Windschatten an Bedeutung. Der Wahlerfolg gab ihm allerdings recht. Die Zeit der Ideologien schien vorbei. In ganz Europa gewannen Politiker Wahlen, die sich selbst als Konzept präsentierten und auf politische Visionen weitestgehend verzichteten, wie beispielsweise Emmanuel Macron in Frankreich oder Boris Johnson in England.

Politische Zeitenwende Corona

Corona änderte etwas. Die Pandemie hat die Gesellschaft wieder stärker ideologisiert. Plötzlich ging es um Solidarität, Freiheitsrechte und fundamentale Zukunftsängste vieler Menschen. Tote, überfüllte Intensivstationen, Lockdowns, Kurzarbeit. Regierungen gewannen an Bedeutung, entschieden sie doch durch die Gewährung von Hilfen ganz offensichtlich über berufliche und wirtschaftliche Existenzen. Politik war plötzlich keine Nebensache mehr, welche die meisten mehr desinteressiert als intensiv verfolgten. Entscheidungen wurden unmittelbar relevant. Ob ich das Haus verlassen darf, wie das Haushaltsbudget im laufenden Monat aussehen wird oder ob ich bedürftige Familienmitglieder besuchen darf, entschieden Politiker.

Die Bekämpfung der Pandemie war somit für viele Menschen eine entscheidende politische Vertrauensfrage. Und gerade hier scheiterte das Pandemiemanagement auf offener Bühne. Alle hoffnungsfrohen Versprechungen entpuppten sich als falsch. Dieser Vertrauensverlust entwickelte sich zu einer politischen Bürde. Als Beigabe dann noch die laufenden Ermittlungen – denkbar schlechte Voraussetzungen für politische Arbeit. Zumindest für die nächsten Jahre.

WKStA Ermittlungen und U-Ausschuss als weitere Puzzlestücke

Die unterschiedlichen laufenden Ermittlungen sind gegenüber dem Coronamanagement für die Öffentlichkeit weniger bedeutsam. Natürlich haben Chats ein Bild gezeichnet, dieses wäre aber in weiterer Folge zurechtrückbar gewesen. Auffallend hingegen war, dass unter diesem persönlichen Druck strategisch und kommunikativ kein Fettnäpfchen ausgelassen wurde. Beginnend mit dem Journalisten-Hintergrundgespräch am 20. Jänner 2020 in der Politischen Akademie der ÖVP, als der amtierende Bundeskanzler Kurz rote Netzwerke in der WKStA verortete. Auch die darauffolgenden ständigen Attacken auf Justiz und WKStA waren entbehrlich, denn mit Worten konnte er diese Auseinandersetzung nicht gewinnen. Zudem nahm langsam am Horizont ein neuer Untersuchungsausschuss Gestalt an, der sich anschickt, den ehemaligen Bundeskanzler ins Zentrum der politischen-investigativen Arbeit zu rücken. Dabei gibt es aus Sicht der Partei ein weiteres Risiko, nämlich in der Öffentlichkeit noch unbekannte Chatnachrichten.

Karl Nehammer: Eine überlegte Wahl

Im Oktober schrieb ich an dieser Stelle über die kommenden Entwicklungen „Wie dieses innerparteiliche Ringen letzten Endes ausgeht, ist noch offen. Aber klar ist, am Ende gewinnen immer die Landeshauptleute.“ Diese haben nun die richtige Entscheidung getroffen und sich für Karl Nehammer entschieden. Mit Karl Nehammer wurde vom Parteivorstand die richtige Persönlichkeit zum richtigen Zeitpunkt an die richtige Stelle gewählt. Ein Mann, der schwarz sowie türkis spricht und deshalb mögliche innerparteiliche Disharmonien gut ausdirigieren kann. Mich würde es nicht wundern, wenn die Parteifarbe türkis bleibt, aber das Wort „Neue“ aus dem Namen verschwindet.

Zudem ist Nehammer krisenresistent, überlegt und kritikfähig. Zeitgleich ein intelligenter und ungemein fleißiger politischer Kopf mit Erdung, jemand der Handschlagqualität besitzt. Ein Mensch, der „seinen“ Ministern bei aller Richtungsklarheit auch die notwendigen Freiräume geben wird. Seine momentan wichtigste Eigenschaft ist allerdings, Brücken bauen zu können. Nicht nur innerparteilich, sondern auch zum politischen Mitbewerb. Jemand, den Österreich und die ÖVP jetzt brauchen. In dem Sinne ein schöner Neuanfang.

Höchster Respekt gilt Alexander Schallenberg. Er wurde Kanzler, weil er gebraucht wurde. Der jetzige Schritt wieder zurück, spricht für ihn, seine hochethische Arbeitsmoral und einen funktionierenden Realitätssinn. Sich diesen zu bewahren, ist in Spitzenpositionen gar nicht so leicht.

Er zählt in Österreich zu den besten Kommunikationsexperten. Die Rede ist vom PR-Profi und Politik-Insider Bernhard Krumpel (49). Sein Motto: „Always stay focused“. Klaren Fokus benötigte er unter anderem bei seinen komplexen Jobs für Politiker, Ministerien und Konzerne. Neben seiner Beratungstätigkeit gibt der Wirtschaftssoziologe gerne sein Wissen an Studenten weiter. Er ist Verfasser von Fachartikeln, wie etwa zur Aktionärsrechte-Richtlinie und deren Auswirkung auf die Unternehmenskommunikation, sowie Mitherausgeber von drei Buchbänden mit dem Titel „Spezialgebiete der PR“.