Bei einem längeren Blackout – einem flächendeckenden Strom-, Infrastruktur- und Versorgungsausfall – tritt ein dystopisches Szenario ein, wie man es nur aus futuristischen Romanen und Filmen kennt. Früher oder später muss man nämlich auf fast alles verzichten, was für unseren Alltag und unsere Zivilisation essenziell ist, etwa Licht, Heizung, Kühlschrank, Wasserversorgung mit Pumpen, Geldautomaten, Supermärkte, Internet, TV, Telefon (Mobil und Festnetz), Treibstoffe bei Tankstellen, öffentliche Verkehrsmittel, Alarmanlagen, Zutritts-Sicherungssysteme, irgendwann sogar Spitäler.

Experten rechnen mit Blackout binnen fünf Jahren

Kurz: Die öffentliche Ordnung würde zusammenbrechen, der Kampf ums Überleben nach zwei Tagen einsetzen. Der österreichische Thriller-Autor Marc Elsberg hat die alptraumhaften Zustände in seinem Roman “Blackout” nachgezeichnet. Doch es ist nicht nur Fiktion, wie das österreichische Bundesheer nun unterstreicht. Es schätzt die Wahrscheinlichkeit eines solchen Blackouts nämlich sehr hoch ein.

Sämtliche Experten gehen der nun präsentierten Sicherheitspolitischen Jahresvorschau 2021 zufolge sogar davon aus, dass ein solches Blackout innerhalb der kommenden fünf Jahren eintritt. Deshalb rüstet man sich nun für den Ernstfall: Bis 2024 sollen die ersten autarken Kasernen fertig sein, letztlich soll es zwölf derartige “Sicherheitsinseln” geben, kündigte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) an.

Johann Frank, Leiter des Instituts für Friedenssicherung, Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) und Generalstabschef Robert Brieger Robert Brieger (v.l.n.r.) präsentieren die Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2021.Gunter Pusch

Österreich sei bereits mehrfach, zuletzt am 9. Jänner, an einem Blackout knapp vorbeigeschrammt, erklärte Johann Frank, Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement. Es handle sich um ein Szenario, “das wir ohne Zweifel vermehrt üben müssen”, meinte Tanner bei der Präsentation der “Sicherheitspolitischen Jahresvorschau”. Investiert wird in die Infrastruktur des Heeres: Künftig soll es in jedem Bundesland mindestens eine autarke Kaserne geben, insgesamt soll es zwölf “Sicherheitsinseln” geben.

Diese Kasernen sollen eigenständig in jedem Bereich sein, von der Energieversorgung bis zur Verpflegung, um die Truppe handlungsfähig zu halten. In einer zweiten Stufe sollen sie auch Externe versorgen können, und etwa die Sanitätsversorgung für die Öffentlichkeit sicherstellen, erläuterte Generalstabschef Robert Brieger. Rund 20 Millionen Euro investiere man in die Kasernen.

Österreich nach wie vor unzureichend vorbereitet

Österreich ist grundsätzlich auf ein Blackout nicht ausreichend vorbereitet, wie schon in der Vergangenheit mehrfach festgestellt wurde. Daran hat sich bis heute nichts geändert, wie die im Verteidigungsministerium präsentierte Jahresvorschau festhält: “Die europäischen und österreichischen Blackout-Vorsorgemaßnahmen sind unzureichend.” Die Ressourcen, die das Coronavirus in Anspruch genommen hat, verzögerten im vergangenen Jahr die Vorbereitung.

Bei einer Stromabschaltübung des österreichischen Bundesheeres versagte in den ersten zwölf Stunden der Notstrombetrieb bei fünf von sechs Kleinnotstromaggregaten. Die Reserven in den Spitälern sind ebenfalls spärlich. Der Bericht fordert eine ehrliche Sicherheitskommunikation mit den Menschen: “Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar.”

"Die Sicherheitslage verschlechtert sich"

Generell hatte Sicherheitsexperte Frank keine guten Nachrichten zu verkünden: “Die Sicherheitslage für Österreich und Europa verschlechtert sich, die Herausforderungen nehmen zu.” Insgesamt handle es sich nicht mehr um eine abstrakte Verschlechterung der Sicherheitslage, sondern man sehe das Eintreten ganz konkreter Anlassfälle, auch direkt in Österreich, das “keine Insel der Seligen” sei, sondern eher ein “Zentrum der Betroffenen”. Sämtliche Szenarien könnten sehr kurzfristig Realität werden, wie Frank unterstreicht. Sie hätten hohes Eskalationspotenzial und sehr breitflächige Auswirkungen. Aber immerhin wisse man einigermaßen, “was auf uns zu kommt”, und man könne sich entsprechend vorbereiten.

Cyberattacken, Terroranschläge, Drohnenangriffe und die Folgen der Coronakrise sind die wahrscheinlichsten und größten Bedrohungen im Jahr 2021, wie die Experten in ihrer Risikoanalyse für die kommenden 12 bis 18 Monate festhalten. Im Hinblick auf die Jahresvorschau des vergangenen Jahres hält Frank fest: “Dreieinhalb” von vier prognostizierten Szenarien sind eingetreten, nämlich eine Pandemie, islamistischer Terror (im November in Wien), Cyberangriffe (etwa aufs Außenministerium) sowie beinahe Blackouts.

Zunahme geopolitischer Konflikte

Zu den prioritären Risiken zählen die Experten auch die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie ausgemacht. Dadurch würden weitere 150 Millionen Menschen unter die Armutsgrenze gedrückt, was zu instabileren Verhältnissen in Staaten und Massenmigration führen könnte. Auch Cyberangriffe auf staatliche Einrichtungen sind im vergangenen Jahr um 220 Prozent gestiegen.

Eine zentrale sicherheitspolitische Herausforderung ist außerdem eine mögliche Eskalation regionaler Konflikte in und um Europa mit besonderem Blick auf den östlichen Mittelmeerraum und das nördliche und westliche Afrika. Eine große Gefahr seien auch hybride Bedrohungen in und gegen Österreich. Als weitere anhaltende und neue Risikofaktoren werden beispielsweise auch der Systemkonflikt zwischen den USA und China, Konflikte im Nahen Osten, die Klimakrise und eine “gesellschaftliche Polarisierung in Österreich” genannt. Eine Herausforderung sei zudem die rasante Technologieentwicklung, Stichwort “Drohnen als Kalaschnikow der Lüfte des 21. Jahrhunderts”.

Tanner: "Wir haben aufzurüsten."

“Es wird 2021 jedenfalls keinen Lockdown von Krisen geben”, prognostiziert Frank in seinem Beitrag in der “Sicherheitspolitischen Jahresvorschau”. Auch Entwicklungen, die die Souveränität gefährden, könne man nicht gänzlich ausschließen.

Verteidigungsministerin Tanner beklagte einen “großen Investitionsrückstau” beim österreichischen Bundesheer, der im Laufe von Jahrzehnten entstanden sei. Nun seien viele konkrete Schritte nötig: “Wir haben aufzurüsten.” Die Antwort könne nur eine erneuerte, umfassende Landesverteidigung in Österreich sein, erklärte auch Generalmajor Frank. Auch Generalstabschef Brieger unterstrich, man brauche “flexible und extrem gut ausgestattete Streitkräfte”, um aktiv auf die Bandbreite der Bedrohungen reagieren zu können. Er sprach sich auch für eine Weiterentwicklung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU aus.

Soll Österreich mehr in sein Bundesheer investieren?