Als Roland Weißmann vor fast einem Jahr auf einem ÖVP-Ticket zum Nachfolger des Sozialdemokraten Alexander Wrabetz zum obersten Chef des ORF gekürt wurde, hoffte der eine oder andere bürgerlich-liberale Kunde der Anstalt, dadurch würde sich der notorische Linksdrall vieler Info-Formate des ORF vielleicht ein wenig mildern lassen. Eine Art von Perestroika für Radio Havanna, sozusagen.

Nix Perestroika

Es war eine naive Hoffnung, wie wir heute wissen. Dass heute ein der bürgerlichen Hälfte des Landes zuzurechnender Manager den ORF führt, hat an diesem Problem genau null geändert. Man kann das je nach Gusto als Beweis der Unabhängigkeit der ORF-Redaktionen beschreiben oder als Ausfluss der Schwäche des Generaldirektors, das Unternehmen so zu führen, dass etwas mehr ideologische Ausgewogenheit einzieht.

Was auch immer die Ursache ist – in dieser Frage ist Weißmann jedenfalls gescheitert. Radio Havanna hat seinen eigenen Chef am Nasenring durch die Manege gezogen.

Als wäre das nicht schon schlimm genug, hat der Generaldirektor dieser Tage auch noch in aller Öffentlichkeit demonstriert, dass er auch in kaufmännischer Hinsicht nicht geeignet ist, die Anstalt zu führen.

Seid verschlungen, Millionen

Bis zu 300 Millionen Euro kumulierte Verluste drohen seinem Haus bis 2026, was er durchaus zutreffend die „größte Finanzierungskrise in der Geschichte des ORF“ nennt. Als Ursachen für die blutrote Prognose benennt der ORF-Chef in einem internen Schreiben an die Mitarbeiter „die extreme Teuerung, die explodierenden Energiekosten, Rückgänge bei den Werbeerlösen und die steigenden GIS-Abmeldungen“. Anderen Prognosen zufolge könnte die Lücke sogar 700 Millionen ausmachen.

Dass die GIS-Abmeldungen so steigen, könnte vielleicht ganz am Rande mit der Qualität der Produkte des Küniglbergs zu tun haben, und darüber hinaus beschreibt Weißmann da Probleme, mit denen praktisch jede Unternehmensführung zu kämpfen hat; ganz besonders im Medienbereich.

Doch statt einen Plan vorzulegen, wie der ORF so redimensioniert werden kann, dass Einnahmen und Ausgaben wieder ins Lot kommen, wie das der Eigentümer in jedem normalen Unternehmen vom Vorstand einfordern würde, fordert der ORF-Chef von der Politik einfach in patzigem Ton mehr Geld. Und droht ganz unverblümt: Ab 2024 könne „auf Basis des bestehenden Finanzierungsmodells die Erfüllung der gesetzlichen Aufträge nicht mehr garantiert werden“.

Soll heißen: ohne frische Kohle vom Steuer- oder Gebührenzahler wird der ORF-Chef dann nicht mehr machen, wozu er gesetzlich verpflichtet ist.

Die Selbstentblößung

Diese Drohung dreist zu nennen, ist noch eine sehr höfliche Beschreibung. In jedem Privatunternehmen wäre ein Geschäftsführer, der so agiert, vermutlich noch am gleichen Tag seinen Job los. Völlig zurecht nannte der nicht eben zum Hyperventilieren neigende Chefredakteur der „Kleinen Zeitung“, Hubert Patterer, diese Unverschämtheit eine „Selbstentblößung“, er habe nichts anderes getan, „als die eigene unternehmerische Verantwortung auf frivole Weise an die Eigentümervertreter, in diesem Fall an den Stiftungsrat, die Politik und letztlich an die Gebührenzahler umzuwälzen und das Monate nach erfolgter Gebührenerhöhung“. Und diagnostizierte weiter, leider völlig zutreffend: „Der neue ORF-General offenbart ein verstörendes Management- und Kunden-Verständnis.“

Es ist dies die Mentalität eines sowjetischen Kombinates, dass ich nicht am Markt um Kunden bemühen muss, sondern seine überschaubar attraktiven Produkte zu vom Staat diktierten Preisen den hilflosen Abnehmern zuteilt.

Wer braucht den ORF?

Dass es im ORF-Stiftungsrat, der ja den Generaldirektor bestellt, keine Debatte darüber gibt, ob man mit einer derartigen Mentalität fit und proper ist für die Führung des Hauses zeigt vor allem, wie wenig die Anstalt in der Moderne angekommen ist.

Als Optimist sehe ich das freilich als erfreuliche Entwicklung. Denn je schneller klar wird, wie unhaltbar der ORF in seiner heutigen Form im Grunde ist, um so schneller wird sich die Frage nach seiner Existenzberechtigung stellen, wie in vielen anderen Ländern Europas. Wenn Herr Weißmann durch seine Dreistigkeit unbeabsichtigt einen Beitrag dazu leistet, hat er zwar nicht dem ORF, aber dem Land insgesamt wenigstens einen Gefallen erwiesen.