Deutschland gleicht in diesen Tagen einer Irrenanstalt, bei der man als Außenstehender nicht so leicht unterscheiden kann, wer die Ärzte sind und wer die Insassen. Zu diesem Befund muss man jedenfalls kommen, wenn man sich das völlig absurde Gezerre der letzten Wochen um die Frage zu Gemüte führt, wie lange die drei letzten noch in Betrieb befindlichen deutschen Atomkraftwerke weiter Strom produzieren dürfen und wann sie abgeschaltet werden müssen. Letztstand: im April, ohne jeden sachlichen Grund. Und das, obwohl sie Meisterleistungen deutscher Ingenieurskunst sind, fit sind und riesige Mengen Strom liefern können, den Deutschland dringend braucht – und noch dazu völlig ohne CO2-Ausstoß arbeiten.

Ein Triumph der Sturheit

Es ist kein Wunder, dass man außerhalb Deutschlands – und auch Österreichs – die nun von Bundeskanzler Scholz dekretierte Abschaltung dieser drei AKW einhellig für verrückt hält. Wir haben es hier leider mit einem klassischen Fall eines Sieges ideologischer Sturheit, grüner Verbissenheit und massiver Realitätsverweigerung über die Ratio zu tun. Wider besseres Wissen wird aus quasi-religiöser Überzeugung heraus das Vernünftige (AKW weiterbetreiben) auf dem Altar des Atomausstiegs geopfert, koste es, was es wolle.

Worum es wirklich geht, hat ein deutscher Grün-Politiker schon vor ein paar Monaten mit entwaffnender Ehrlichkeit so erklärt: »Jetzt habe ich seit Jahrzehnten für den Atomausstieg gekämpft, das lasse ich mir doch jetzt nicht kaputtmachen.« Ins Deutsche übersetzt heißt das: Was kümmern mich die Fakten, wenn es um meine Befindlichkeit und meinen Glauben geht.

Wie man verlässlich scheitert

Politik, die auf Glaubenssätzen basiert und nicht auf nüchterner Analyse der Realität, die Dogmen an die Stelle der Ratio setzt und die Naturgesetze ignoriert, ist in der Geschichte der Menschheit immer und ausnahmslos gescheitert. Der letzte diesbezügliche Versuch nannte sich »Sozialismus«, dauerte immerhin rund fünfundsiebzig Jahre und kollabierte 1989 auf spektakuläre Art.

Es ist eine seltsame Pointe der Geschichte, dass ausgerechnet einer der mächtigsten kommunistischen Führer aller Zeiten, der damalige chinesische Parteichef Deng Xiaoping, in den 1980er Jahren bewies, wie überlegen eine rational-pragmatische Politik gegenüber dem strengen Dogmatismus ist. Denn mit seiner legendär gewordenen Parole »Egal, ob eine Katze schwarz ist oder weiß, Hauptsache, sie fängt Mäuse« öffnete er China für den Kapitalismus und schuf damit die Basis für den enormen ökonomischen Aufstieg seiner Heimat.

Ein kluger Kommunist

Dass ausgerechnet ein chinesischer kommunistischer Bonze im vorigen Jahrhundert imstande war, die Vorteile einer rationalen Politik gegenüber einer fundamentalistischen zu erkennen und vor allem auch danach zu handeln, während die heutigen deutschen Politiker von Grünen, SPD und auch Teilen der Union in der wichtigen Frage des Atomausstiegs religiös-dogmatisch handeln, ist eigentlich mehr als erschreckend.

Leider ist diese Art von Politik, in der sozusagen Weltanschauung die eigene Anschauung ersetzt, nicht auf Deutschland beschränkt, auch hierzulande ist sie vor allem, aber nicht nur, bei den Grünen zu diagnostizieren.

Was unsere Zukunft wirklich gefährdet

Wenn etwa die grüne Wiener Ministerin Leonore Gewessler in Brüssel rechtlich dagegen vorgeht, dass die EU völlig faktenkonform Atomkraft als umweltfreundlich klassifiziert, folgt sie demselben Muster politischen Verhaltens, eigene Dogmen über die Fakten zu setzen. »Wir werden nicht zusehen, dass sich die Union und die Kommission vor den Karren der fossilen und nuklearen Lobby spannen lassen und damit auch unser aller Zukunft gefährden«, erklärte sie dazu, ein beachtliches Beispiel religiös fundierten politischen Denkens. Denn natürlich gefährdet nicht der Betrieb der drei deutschen Atomkraftwerke »unser aller Zukunft«, sondern viel eher der Mangel an Energie, der dadurch ausgelöst wird.

Von der Prawda lernen

Irgendwie erinnert mich diese Art, Politik zu verstehen, ein wenig an den letzten Chefredakteur der einstigen sowjetischen Parteizeitung Prawda (zu deutsch »Wahrheit«), einen gewissen Gennadi Nikolajewitsch Selesnjow, der als hoher Parteifunktionär immer im Fonds seiner Dienstlimousine mit Chauffeur und hinten zugezogenen Vorhängen unterwegs war.

Gefragt, warum ausgerechnet er als Journalist mit abgedunkelten Fenstern durch Moskau fährt, antwortete er nach dem Zusammenbruch des Kommunismus: »Weil ich sonst nicht die Wahrheit (Prawda) hätte schreiben können.« So pflegt dergleichen halt auszugehen, nicht nur damals in Moskau.