Viel Staub aufgewirbelt hat jüngst eine Meinungsumfrage des Sora-Instituts, der zufolge sich etwa ein Viertel der Bevölkerung »einen starken Führer, der sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss«, wünscht.
Mehr hat die Bevölkerung, dieser ungezogene Balg, nicht gebraucht: unverzüglicher medialer Nazi-Alarm, die Ergebnisse der Umfrage und ihre Folgen »verheißen nichts Gutes«, unkte der Standard mit milieubedingt rosarot erigierten Zeigefinger.
Nun kann man den demoskopischen Befund natürlich so interpretieren, dass jeder vierte Wähler zu Hause einen kleinen Hitler-Schrein aufgebaut hat, vor dem Einschlafen noch ein paar Seiten Mein Kampf liest und jährlich am 20. April eine Portion Eiernockerl mit grünem Salat verzehrt, angeblich ja des Führers Lieblingsgericht.

Nein, so sind wir nicht

Man kann das so interpretieren, aber ich glaube, man sollte nicht. Natürlich gibt es in diesem Land, wie fast sonst überall auch, ein paar echte Nazi-Spinner, aber die sind zum Glück in keiner Weise relevant – und stellen schon gar nicht ein Viertel der Bevölkerung, das anzunehmen wäre eher absurd.
Ich vermute viel eher, dass sich in dieser Sehnsucht nach einem »starken Führer«, einem übrigens nur im deutschen Sprachraum historisch schwer kontaminierten Begriff, möglicherweise eher das Bedürfnis nach starker Führung, entschlossenen Entscheidungen und zügiger Umsetzung von Politik stehen könnte.
Davon ist in der real existierenden Politik ja eher nicht so viel zu bemerken, und schon gar nicht in ihrer österreichischen Ausformung, die traditionell dazu neigt, konsensbesoffen einen Kompromiss schon dort zu finden, wo noch gar kein Konflikt vorhanden ist. Und wo viele mächtige Interessen, von den neun Bundesländern bis zu den noch immer mächtigen Sozialpartnern, umklammert von den Regeln der EU, austariert werden müssen.
Was natürlich in viele Fällen dazu führt, dass sich Entscheidungsprozesse episch in die Länge ziehen und oft nicht zu klaren Lösungen, sondern zu lauen Provisorien führen.

Die Demokratie und ihr Defizit

Das mag in guten Zeiten hinnehmbar sein, aber wenn schwere Stürme aufziehen – wie jetzt gerade – ist dieses Führungsprinzip des Lavierens, Ausgleichens und Abwartens nicht besonders tauglich, auch wenn es besonders österreichisch erscheinen mag.
Es ist kein Zufall, dass sich auch durch und durch demokratische Gemeinwesen in den letzten zweitausend Jahren darauf verständigt haben, in wirklichen Krisenzeiten – wie etwa einem Krieg – den Regierenden außerordentliche Handlungsvollmachten einzuräumen, die sie befähigen, schnell und entschlossen Entscheidungen zu treffen, die im normalen demokratischen Prozess so nicht möglich wären. Man kann das als kluge Selbstbeschränkung der Demokratie verstehen, die weiß, dass sie zwar das beste aller bekannten politischen Betriebssysteme ist, aber trotzdem auch Mängel aufweist, die sie im Krisenfall störungsanfällig macht.

Migration ohne Führung

Wir können deshalb nicht ganz ausschließen, dass jener Teil der Bevölkerung, der sich in der Sora-Umfrage nach einem starken Führer wünscht, in Wirklichkeit eher nach starker Führung in schwierigen Zeiten sehnt; ein durchaus legitimes Anliegen. Wer etwa zuschauen muss, wie durch und durch demokratisch legitimiert sich Bund, Länder und Gemeinden im Management der aktuellen Migrationskrise gegenseitig im Weg stehen, wird dieses Bedürfnis nach Führung durchaus etwas abgewinnen können.

Demokratisch in die Pleite

Das gilt übrigens auch für die Sehnsucht nach einer politischen Führung, »die sich nicht um Wahlen kümmern muss«. Das kann man zwar als Ausfluss einer antidemokratischen Gesinnung interpretieren – ich glaube eher, dass sich hinter dieser Haltung auch die nicht ganz unberechtigte Kritik an einer politischen Klasse verbirgt, für die Machterhalt das einzige Ziel ihres Handelns geworden ist und die daher völlig opportunistisch Stimmen optimiert, völlig losgelöst von politischen Überzeugungen und Ideen. Politik, die sich um nichts anderes kümmert als um den Ausgang der nächsten Wahlen, mag ja sehr demokratisch sein – zu guten Lösungen im Sinne des Gemeinwohls wird sie eher nicht kommen, sondern à la longue eher zu nicht nachhaltigen Sozial- und Pensionssystemen, um nur ein Beispiel zu nennen.

Franz Josef Strauß, der legendäre bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef, pflegte nach end- und ergebnislosen Sitzungen zu sagen: »G’redt is gnua woan, jetzt wird g’sturbn.« Ich vermute, dass sich nicht wenige Bürger das auch manchmal wünschen, und sie deshalb gleich ins Nazi-Eck zu stellen, ist einfach, aber nicht besonders klug.