Die Schätzungen schwanken ein wenig, aber nach allem was wir wissen haben in den letzten zwei Monaten zwischen 200.000 und 300.000 Menschen Russland verlassen, nicht als Touristen, sondern als Emigranten auf der Suche nach einer neuen Heimat. Die allermeisten von ihnen sind jung und gut ausgebildet, viele aus der Digitalindustrie und ähnlichen Branchen. Manche gehen, weil es ihnen in Putins Russland gedanklich zu eng geworden ist, andere, weil ihnen das Leben unter den Bedingungen der westlichen. Sanktionen zu karg geworden ist, andere weil sie mit dem Krieg nichts zu tun haben wollen.

Österreich, uninteressant

Interessant ist, diese Absetzbewegung mit der Zahl der Russen zu vergleichen, die in den letzten zwei Monaten nach Österreich gekommen sind: die werden nämlich eher weniger als mehr, obwohl russische Staatsbürger – so sie nicht zufällig Kremlnahe Oligarchen sind – ohne Problem nach Österreich einreisen können. Zwar nicht mehr bequem direkt am Luftweg, aber noch immer zum Beispiel mit einem Stopover in Istanbul oder Belgrad.

Stellt sich die Frage: warum gehen gut ausgebildete junge Russen, oft auch mit unternehmerischen Ambitionen, in alle möglichen anderen Länder, aber nicht nach Österreich?

Und warum halten das nicht nur die gebildeten jungen Russen so, sondern genauso Chinesen, Inder oder andere Menschen aus unternehmungslustigen Kulturen? Die kommen ja auch nicht gerade in Scharen, obwohl wir sie dringend bräuchten.

Kein attraktives Pflaster, leider

Das hat natürlich verschiedene Gründe, teils kultureller, teils sprachlicher und anderer Natur. Und dass sich Russen in Westeuropa nicht wahnsinnig willkommen fühlen, geschenkt. Aber einer dieser Gründe ist auch: Österreich ist für junge Menschen aus aller Welt, die etwas werden wollen, vielleicht sogar Unternehmer, ein verdammt unattraktives Pflaster. Aus den bekannten Gründen: viel zu hohen Steuern und Abgaben; eine Verwaltung im Stil einer „Boa Constrictor“, jener Riesenschlange, die zwar niemanden mit Gift killt, aber mörderisch würgt; und schließlich eine verbreitete Mentalität der Leistungsfeindlichkeit, des Neides und Mißgunst wirtschaftlichen Erfolgen anderer gegenüber.

Oder, auf den Alltag heruntergebrochen: warum soll ein junger Russe in eine Stadt übersiedeln, deren einziger in der City sonntags geöffneter Supermarkt zwei Drittel seines Sortimentes durch Barrieren vor dem Zugriff schützen muß, weil das so Vorschrift ist? In eine Stadt, in der die Taxi-Lobby erfolgreich Uner gezwungen hat, so schlecht und so überteuert wie sie selbst zu werden, damit es keinen Wettbewerb zugunsten der Kunden gibt? In einen Staat, in der viele junge Menschen an eine Art Menschenrecht auf die 30-Stunden-Woche glauben, weil sie einen Ganztagsjob für menschenverachtend, inhuman und neoliberal halten? Und wo man dafür mehr als die Hälfte seines Einkommens in Form von Steuern und Abgaben an den Staat abführen muß, der dafür sorgt, dass sich daran nichts ändert?

Wie wir ein win-win schaffen könnten

Dass wir für leistungsfrohe junge Menschen aus aller Welt so unattraktiv sind, wie wir nun einmal sind, ist schon in normalen Zeiten ein Ärgernis.

Angesichts hunderttausender junger Russen auf der Suche nach einer neuen, besseren Heimat ist es aber eine echte vergebene Chance. Nichts spricht dagegen, diesen Leuten schnell und unkompliziert längerfristige Aufenthaltstitel zu geben und noch ein paar Jahre steuerfreiheit obendrauf, wenn sie ein Unternehmen gegründet haben und ein paar Jobs geschaffen haben. Was natürlich nicht nur für Russen gelten müßte, sondern im Grund für leistungshungrige Menschen aus aller Welt, die nicht in den Sozialstaat einwandern wollen wie die meisten jener, die derzeit zu uns drängen.

Damit stünde eine echte win-win-Situation: Der Kriegsherr im Kreml wäre durch einen solchen brain-drain geschwächt, Österreichs Wirtschaft würde durch einen derartigen Import kluger Köpfe gestärkt. Und ein paar neue Restaurants mit guter russischer Küche wären ja auch kein Schaden.