Ein kleines Gedankenspiel: Nehmen wir einmal an, die Regierung beschließt morgen ein Gesetz, mit dem die Spareinlagen aller österreichischen Pensionisten mit einer einmaligen Steuer von zehn Prozent belegt werden, die in den beiden nächsten Jahren nochmals mit einem Satz von jeweils fünf Prozent belegt werden. Gleichzeitig werden auch die Spareinlagen der Kinder und der Enkelkinder mit diesem Satz besteuert.

Man kann sich vorstellen, was die Folge wäre: Die halbe Republik stünde in Flammen, Hunderttausende ständen wütend am Ballhausplatz, eine Montagsdemo nach der anderen, am Ende müsste der Bundeskanzler wohl ins Exil nach Paraguay flüchten; oder so.

Die Alten-Steuer

Das Interessante ist, dass es eine Steuer in etwa dieser Höhe gibt. Sie heißt Inflation und bewirkt ganz genau denselben Wohlstandsverlust. Nicht nur, aber ganz besonders bei der älteren Generation, die aus verschiedenen Gründen nun einmal nicht in Finanzderivate und Kryptowährungen investiert, sondern so spart, wie es Generationen gelernt haben.

»Um es unverblümt zu sagen: Sie stehlen peu à peu das Geld von alten Menschen«, meinte jüngst völlig zutreffend der britische Finanzexperte und Autor Russell Napier. »Sie«, das sind in diesem Fall natürlich die Regierungen und vor allem die Notenbanken wie Europas Europäische Zentralbank (EZB).

Für mich ist es ein ziemlich rätselhaftes Wunder, warum die solcherart Bestohlenen samt ihrer Kinder, die ja auch in ihrer Eigenschaft als Erben bestohlen werden, nicht längst auf die Barrikaden gegangen sind, und warum keine politische Partei diesen größten Betrug des Jahrzehnts zu ihrer Agenda gemacht hat. Es ist fast ein wenig bizarr: Während die möglicherweise in fünfzig Jahren eintretenden Folgen des Klimawandels eine ganze Generation mobilisieren und in den Widerstand treiben, klebt sich wegen dieses Riesenbetrugs kein Mensch vor dem Gebäude der EZB auf die Straße.

Ein perfektes Verbrechen

Dass sich Menschen lammfromm bestehlen lassen, ohne den geringsten Versuch der Gegenwehr oder auch nur ohne ihren Zorn freien Lauf zu lassen, ist ein neues Phänomen.

Ich glaube, das hat jedenfalls drei Ursachen: Erstens eine völlig verzerrte Beschreibung der Ursachen von Inflation durch linke Ökonomen und Journalisten, zweitens einen krassen Mangel an Wirtschaftsbildung bei großen Teilen der Bevölkerung und drittens ein Gefühl der Ohnmacht angesichts einer Art von wirtschaftlicher Naturkatastrophe, die irgendwie gottgegeben erscheint.

So erklärt uns etwa Peter Michael Lingens im Falter die Ursache der explodierenden Inflation so: »Ausgangspunkt der massiven Zinserhöhung von Fed und EZB war die absurde These, dass ihre lockere Geldpolitik die Hauptschuld an der aktuellen Teuerung trage, obwohl sie durch ein Jahrzehnt beinahe mit Deflation verbunden war. Aber während für Laien klar war, dass die aktuelle Teuerung vor allem der Verteuerung fossiler Energie durch den Ukrainekrieg geschuldet ist, …«

Damit liegt Lingens zwar evident falsch, ist aber immerhin weiter als sein linker Ökonomen-Kollege Oliver Picek, der im Sommer 2021 geschrieben hatte: »Die große Inflation ist nicht nur in Österreich ein journalistisches Lieblingsthema. Nur, dass sie tatsächlich kommt, ist sehr unwahrscheinlich. Empirisch und theoretisch spricht das Allermeiste eindeutig dagegen.« Okay, das ist jetzt nicht so gut gealtert, aber bitte, jetzt wissen wir wenigstens, was bestimmte Prognosen bestimmter Experten wert sind. Und das ist ja auch etwas wert.

Warum geht es der Schweiz besser?

Dass die Verteuerung der Energie im Gefolge des Kriegs die Inflation zwar angefacht haben mag, sie aber nicht ausgelöst haben kann, ist leicht zu beweisen. Denn einerseits begann die Inflation schon etwa ein halbes Jahr vor Kriegsausbruch stark zu steigen, was sie als Kausalgrund ausschließt, und andererseits verzeichnet die von kriegsbedingt steigenden Energiekosten genauso betroffene Schweiz nicht elf Prozent Inflation wie wir, sondern bloß drei Prozent.

Und zwar deshalb, weil in erster Linie nicht der Krieg, sondern das jahrelange massive Gelddrucken der EZB den Wert des Geldes systematisch unterhöhlt hat. Wenn dieselbe Menge an Waren auf viel mehr Geld trifft, steigen natürlich die Preise – genau, wie es jetzt zu beobachten ist.

Leider – und jetzt sind wir beim zweiten Grund der allgemeinen Resignation – trägt die Schule in Österreich nicht im Geringsten dazu bei, den Menschen diese Zusammenhänge beizubringen. Stattdessen lernt man dort, dass Unternehmer die Menschen ausbeuten, der Kapitalismus ein Übel ist und alles irgendwie sehr ungerecht zugeht.

Dummheit als Glücksfall

Für die Regierenden, egal, welcher Couleur, ist das ein paradiesischer Zustand, und deswegen ändert sich ja auch nichts daran. Ein Wähler, der nicht versteht, wer für die Inflation wirklich verantwortlich ist, kann auch niemanden dafür zur Rechenschaft ziehen – herrlich.

Dass die Menschen sich völlig apathisch bestehlen lassen, ist vor diesem Hintergrund eigentlich nicht besonders überraschend. Wir haben es hier wohl mit einem perfekten Verbrechen zu tun, dessen Täter nie zur Rechenschaft gezogen, sondern eines Tages auch noch mit enormen Pensionen belohnt werden. Inflationsgesichert, versteht sich.