Als „Waterloo im Wüstensand“ bezeichnete die Zürcher „NZZ“ die jüngsten panischen Versuche zahlreicher europäischer Politiker, darunter auch die österreichische Energieministerin Eleonore „Jetset“ Gewessler, das Gas-Emirat Katar dazu zu bewegen, kurzfristig mehr Gas zu liefern, um weniger von Russland abhängig zu sein. Das wird leider schlicht und ergreifend nicht funktionieren.

„Unsere Kapazitäten sind mehrheitlich in langfristigen Verträgen in Asien gebunden. Das erlaubt es uns leider nicht, kurzfristig größere Mengen abzuzweigen und nach Europa umzuleiten“, beschied der oberste Gas-Verkäufer des Scheichtums die diversen Petenten aus Europa höchst unmissverständlich.

Wir haben uns selbst erpressbar gemacht

Vor allem Deutschland, aber auch Österreich müssen deshalb – anders als Briten, Franzosen, aber auch das kleine Litauen – weiter versuchen, Putin halbwegs bei Laune zu halten, wollen sie nicht riskieren, dass nach einem russischen Lieferstopp ihre ganzen Volkswirtschaften komplett zusammenbrechen, was in diesem Szenario durchaus möglich wäre.

Wobei wir hier nicht von Pech oder höherer Gewalt reden, sondern von einer ganz bewussten Entscheidung der Deutschen und Österreicher, anders als andere Europäer, nicht aus allen möglichen Ecken der Welt zu kaufen, sondern (fast) alles auf eine Karte zu setzten – die russische. Gezwungen hat uns dazu niemand.

Den Preis für diese entsetzliche Fehlentscheidung bezahlen jetzt in gewisser Weise die Ukrainer mit ihrem Leben, weil nicht ausreichend Druck auf Russland gemacht werden kann – aber auch Deutsche und Österreicher mit dem Verlust ihrer Würde, indem sie sich in diese unmögliche Situation gebracht haben.

Der hohe Preis billigen Gases

Wie konnte das nur geschehen? Aus einem ganz einfachen Grund: Gas aus Russland war und ist billiger als anderes, die deutsche und die österreichische Industrie hatte dadurch über Jahrzehnte einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Staaten, die auf Diversifizierung ihrer Lieferanten achteten.

Davon profitierten Unternehmen, Aktionäre, aber auch die Arbeiter und Angestellten, und über die Steuern der Staat – sie alle lukrierten die Vorteile des billigen Russen-Gases. Und manche in hohen Positionen wohl auch noch zusätzlich durch finanzielle Zuwendungen diskreter Natur. So einfach ist das im Grunde.

Und weil sich die Sowjetunion und später Russland immer verlässlich an seine Verpflichtungen gehalten hatte und hält, schien auch das Risiko, nicht beliefert zu werden, nicht vorhanden zu sein.

An ein Risiko aber hat offenbar niemand gedacht; auch nicht jene oberschlauen Journalisten, die diese Politik nun zurecht kritisieren: an das Risiko, dass es eines Tages notwendig werden könnte, die Gaslieferungen aus Russland zu stoppen, um einen beginnenden Völkermord nicht auch noch mit unserem Geld zu finanzieren.

Genau das ist ja derzeit der Fall.

Der Eisberg, den niemand sehen wollte

Und deshalb stellt sich nun eine entscheidende Frage: warum haben ganz offenkundig weder die Politik noch die Wirtschaft dieses Risiko rechtzeitig identifiziert, untersucht und Wege ausgedacht, es zumindest zu vermindern? Anderen EU-Staaten ist das ja auch gelungen, etwa mit Hilfe von Atomkraftwerken (Frankreich) oder dem Bau von Flüssiggas-Terminals (Baltikum).

Denn spätestens seit Putins Annexion der Krim vor sieben Jahren hätte dieses Problem am Radar der Verantwortungsträger auftauchen müssen, Warner gab es seither ja genug – doch anscheinend wollte niemand den Eisberg sehen, auf den wir zusteuerten.

Wer regiert uns eigentlich?

Es gibt wahrscheinlich nicht die eine, alles erklärende Antwort auf die Frage, wie das um Gottes Willen passieren konnte. Aber eine drängt sich schon auf: die intellektuelle, charakterliche und menschliche Qualifikation jener, die letztlich diese Entscheidungen zu treffen haben, beeindruckt seit vielen Jahren nicht wirklich, weder auf der europäischen Ebene noch in der europäischen Führungsmacht Deutschland noch hierzulande.

Ganz trefflich hat das, was Brüssel betrifft, der deutsche Komiker und Europaabgeordnete Martin Sonneborn beschrieben, als die derzeitige EU-Kommission installiert wurde:

Dem ist leider nichts hinzuzufügen, außer vielleicht dass Frau Lagarde als EZB-Chefin mittlerweile erfolgreich daran arbeitet, den Euro mittels Inflation vollends zu ruinieren, Herr Borrell als Außenbeauftragter den Krieg zum Anlass nimmt, Medien in der EU zu verbieten, die „falsche“ Ansichten verbreiten, Ursula von der Leyen die stark verspätete Bestellung von Corona-Impfstoffen zu verantworten hat und Ratspräsident Charles Michel als „Der untalentierte Monsieur Michel“ („Wirtschaftswoche“) von Missgeschick zu Missgeschick taumelt.

Dass eine derartig Gurkentruppe die EU-Mitglieder rechtzeitig veranlasst hat, eine vernünftige und verantwortliche Energiepolitik zu betreiben, war nicht zu erwarten.

Merkels Schuld und Steinmeiers Beitrag

Ein grober Fehler, den Deutschland als ökonomische Vormacht des Kontinents durch ein politisches Multifunktionsversagen noch gewaltig verstärkte, von der falsch angelegten Euro-Rettung über die Fetischisierung des Weltklimas über eine groteske Migrationspolitik bis eben hin zu einer desaströsen Energiepolitik verbockten Mutti Merkel und ihre Handlanger so ungefähr alles, was man verbocken kann.

Was jetzt langsam auch eingestanden wird. Die Russland-Politik der letzten Jahre müsse „kritisch hinterfragt werden“, fordert der deutsche Finanzminister Christian Lindner (FDP). “Mein Festhalten an Nord Stream 2, das war eindeutig ein Fehler. Wir haben an Brücken festgehalten, an die Russland nicht mehr geglaubt hat und vor denen unsere Partner uns gewarnt haben”, sagte der deutsche Bundespräsident und EX-Außenminister Frank Walter Steinmeier (SPD) jüngst in Berlin. Und klingt damit ein bisschen wie die seinerzeitige Kanzlerin nach dem Ansturm der Migranten 2015/16, als sie nur schnippisch meinte „jetzt sind sie hat da“.

Ok, und dann gibt es noch Österreich, wo eine ehemalige Aktivistin von Global 2000 ausgerechnet Energieministerin werden kann, was man in leidlich zivilisierten Ländern eher als practikal joke verstehen würde.

Eigentlich ist es vor diesem politischen Panorama nicht erstaunlich, dass wir in die missliche Lage geraten sind, in der wir uns gerade gegenüber Russland befinden – sondern dass bei uns überhaupt noch Gas aus dem Hahn kommt. Was aber leider kein Trost ist, schon gar nicht für die Ukrainer, die unsere politische Hilfe bräuchten.