AUSNAHMEPOLITIKER KURZ.

Sebastian Kurz ist ein politisches Ausnahmetalent, darüber sind sich Freund und Feind einig und ziemlich sicher ist es auch das Einzige, worüber sie sich einig sind. Denn Kurz polarisiert – um es vorsichtig zu formulieren.
Während sich türkise Brüder und Schwestern, messianisch entrückt, in den Dreck der Wiener Stadthalle werfen, um Gott für ihren gerechten und weisen Führer zu danken, werfen seine Gegner lieber mit Dreck. Mit „haltlosen Anschuldigungen“, „Unterstellungen“ und in Silber-Stein gemeißelte Verleumdungen – zumindest, wenn es nach Kurz und seinen Paladinen geht.
Alle aber hören ihm zu. Denn Sebastian Kurz weiß nicht nur um die Macht der Worte, sondern auch darum, diese publikumstauglich zu entfesseln.
Ob als jüngstes Regierungsmitglied am Schleudersitz des Integrationsressorts, oder heute als jüngster Alt-Altkanzler und konfrontiert mit einer geradezu erdrückenden Last an Vorwürfen und Beschuldigungen. Kurz versteht es dennoch seine Geschichte zu erzählen. Ruhig, gefasst, klar, verständnisvoll und um ebensolches Verständnis höflich bittend.

SEINE WICHTIGSTE WAFFE.

Die Menschen lieben seine Geschichten – weil sie Geschichten lieben. Vom „neuen Stil“, von „einem, der am Boden bleibt“ und „ihre Sprache spricht“. Geboren und aufgewachsen im kleinen Waldviertler Hundert-Seelen-Arbeiterdorf Meidling – irgendwo zwischen einem Mittagstisch im Altersheim und dem Versuch endlich „Klarheit zu schaffen“ – „aus Verantwortung für Österreich“.
Geschichten, sind Kurz‘ wichtigste Waffe. Mit ihnen begeistert er seine Anhänger, führt seine Gegner und Kritiker vor und schafft es Netzwerke aus fast blindem Vertrauen zu weben.
Wer hier zum innersten Kreis gehört, der kennt seine Position und ist nur einem verantwortlich: Dem Projektleiter Ballhausplatz – Kurz selbst. Mit ihm gewinnen sie, teilen die Republik unter sich auf und sind dafür bereit, immer schneller und immer mehr Grenzen zu überschreiten – moralische jedenfalls, sehr wahrscheinlich, aber auch rechtliche (es gilt *gähn* die Unschuldsvermutung).
Alles nachzulesen auf 104 Seiten Ermittlungsakt – dem fast täglich neue Enthüllungen angeschlossen werden – inkl. Kanzlerliebe, Bussi-Bussi und Herzi-Emoji.
Was früher der sagenumwobene Club 45 – alte Herren, Zigarrenrauch und Cognac-Fahne war – ist heute ganz offensichtlich Whats-App. Irgendwie banal.

PERPETUUM MOBILE.

Sebastian Kurz‘ kometenhafter Aufstieg jedenfalls schien alle, bis dahin gültigen politischen Naturgesetze zu umgehen. Aus bemerkenswerter Rhetorik, einem engmaschigen Netzwerk und im Stakkato produzierten Erfolgsmeldungen, zimmerte sich Kurz sein Karriere-Perpetuum-Mobile.
Bald werde er – so prognostizierten nicht nur Jubelschreiber – das kleine, zu enge Österreich wie einen zweimal getragenen Slimfit-Anzug abstreifen, um endlich auch in Europa etwas „neuen Stil“ zu verbreiten.
Doch so weit wird es nun, nach den jüngsten Entwicklungen wohl nicht mehr kommen. Das System Kurz überhitzt, leidet wie alle Versuche unmöglicher Maschinen vor ihm, an Reibungsverlusten und produziert, wie alles was scheinbar grenzenlos wächst, zunehmend schmerzhafte Geschwüre und übelriechenden Ausfluss.

DAS ENDE.

Mit nur 35 Jahren einmal per Misstrauensvotum des Kanzleramtes enthoben und einmal – unweigerlich vor der erneuten Abwahl stehend – selbst zurückgetreten, hat Kurz seinen Zenit überschritten.
Der türkise Lack ist ab, immer mehr unschöne Details kommen zum Vorschein, konterkarieren die ehemals schönen Geschichten und zwingen das Netzwerk zum Rücktritt oder sogar in polizeilichen Gewahrsam (Beinschab).
Und auch der Glaube an Kurz als Zugpferd und Erfolgsgarant scheint dahin.
Immer mehr mächtige Landeschefs distanzieren sich vom Wunderkind – bringen sogar einen Parteiausschluss ins Spiel, sollten sich die Vorwürfe erhärten. Man will retten was noch zu retten ist – nötigenfalls auch ohne Kurz.
Als Klubobmann und Parteichef ist der zwar noch nicht aus dem Spiel und seine türkise Revolution noch nicht vorbei, eines dürfte aber spätestens jetzt klar sein: Black is back!