Jeder kennt ihn, den bösen, hinterlistigen, brutalen Märchen-Wolf, den am Ende stets ein ebenso gnadenloses Schicksal erwartet.

Der Bauch vollgestopft mit Wackersteinen ersäuft das arme Tier wahlweise im Brunnen (Die Sieben Geißlein) oder bricht schon vorher tot zusammen – ehe ihm der Jäger das Fell über die Ohren zieht (Rotkäppchen). In „Der Wolf und der Fuchs“ gelingt dem schlauen Reineke die Flucht, während Isegrim beim Diebstahl ertappt, vom Metzger erschlagen wird.

Selbst die „Drei kleinen Schweinchen“ drehen den Spieß um und kochen ihren Peiniger bei lebendigem Leibe.

Wir alle kennen diese Geschichten, in mehr oder minder blutrünstiger Ausschmückung. Im Kern aber ist immer klar: Nur ein toter Wolf ist ein guter Wolf – nicht ohne Grund.

Auch bei uns standen Menschen viele Jahrhunderte in direkter Konkurrenz mit damals heimischen Großraubtieren wie Wolf und Bär. Riss sich einer der Räuber dann durch die liebevoll gehegte Herde, konnte das, was heute Papierkram ist, für manchen Bauern lebensbedrohlich sein. Kein Wunder also, dass man seinen Gewaltphantasien selbst in Kinderbüchern freien Lauf ließ.

Der arme Wolf

Dieser Tage ist das aber längst Geschichte. Mit der Vertreibung des Wolfes begann sich sein Image langsam zu wandeln. Angst wich Interesse und internationale Abkommen zum Schutz der Tiere zeigten zunehmend Wirkung. Aus Böhmen, den Westalpen und über die berüchtigte „Balkanroute“ kommen die Tiere auch wieder nach Österreich zurück. Nach mehr als 140 Jahren bilden sich erste heimische Rudel und hinterlassen mit rund 800 bestätigten Rissen an Nutztieren, merklich ihre Spuren.

Auch Sichtungen nehmen deutlich zu. Teilweise sogar am helllichten Tage und in Siedlungsnähe.

Erst vor zwei Wochen am Linzer Stadtrand in eine Fotofalle getappt, setzte ein Rüde seinen Spaziergang durch den Zentralraum munter fort und konnte kurz darauf in -Nomen est Omen – Wolfsegg gesichtet werden. Quasi „vor meiner Haustüre“.

Wie ich mich dabei fühle, ist mir noch nicht so klar. Einerseits Tierfreundin und aufgeschlossen und alles. Andererseits ist der Wolf kein Kuschel-, sondern Raubtier. Bis zu 80kg schwer und zumindest im Rudel in der Lage ein ausgewachsenes Bison zu erlegen. Nicht nur als Mutter mit Sorge um die Sicherheit der eigenen Kinder gedacht, scheinen Respekt und Vorsicht jedenfalls angebracht.

Guter Wolf – böser Mensch

Im Netz ist man weniger differenziert. Vor allem bei der Wolfslobby liegen die Nerven blank. Da reicht es schon sich in sozialen Medien ein paar „abweichende“ Gedanken zu machen, um Opfer eines veritablen Shitstorms zu werden. Ein junger Familienvater schreibt: „Ich war letztens nach Einbruch der Dämmerung spazieren. Bin den Feldweg hinaus Richtung Wäldchen. Der Gedanke dabei einem Wolf begegnen zu können, war dann doch kein so beruhigender. Das Tier hat bei uns keinen Platz mehr.  Es braucht Reservate/Parks in denen sie ungestört leben können.“

Über 2000 Mal gab‘s dafür den Daumen nach oben. In den Kommentaren jedoch knallten bei vielen die Sicherungen: „Der Mensch ist der Fehler hier“, „Man sollte dich einsperren, damit du siehst, wie das ist“, „Rotkäppchensyndrom“, „Du brauchst ein Reservat, mein Freund“, „Menschen wie Sie sind hier falsch“ usw. bis dann sogar einer die obligate Todesdrohung rausholt und meint: „Dich leben zu lassen, ist auch der falsche Weg.“
Zumindest eines scheint damit klar: Homo homini lupus est – Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.

Doch was ist der Wolf für uns? Ich bin mir noch nicht ganz sicher. Bitte schreibt mir eure Meinung in die Kommentare. Und bitte, bitte seid nett – auch zueinander.